Sonntag, 31. März 2013

Verliebt in Umwege

Ich liebe es, nicht direkt von einem Ort zum nächsten zu Reisen, sondern über Umwege ans Ziel zu gelangen. Einen Tag hier, eine Nacht dort, das langsame Reisen ist meine Leidenschaft. Ich weiß nicht, wieviel Zeit meines Lebens ich nun schon in Zügen und Bussen verbracht habe. Ab Belgrad waren es jedenfalls:
  • 8 Stunden im Bus Belgrad-Ljubljana
  • 2,5 Stunden im Zug Ljubljana-Rijeka und nochmal
  • 2,5 Stunden für den Rückweg
  • 6 Stunden im Zug Ljubljana-München
  • 5,5 Stunden im Zug München-Leipzig
Das sind über 24 Stunden, also ein Tag von fünf Reisetagen. Das heißt, von den fünf letzten Tagen meiner Reise war ich mehr als ein Fünftel der Zeit nur unterwegs.

Ljubljana



Angekommen bin ich überpünktlich und recht komfortabel mit dem Niš-Ekspres-Bus. Okay, ich musste nochmal extra fürs Gepäck zahlen. Okay, mein Platz war bereits belegt, am zweiten Platz, wo ich mich setzen wollte, war der Sitz kaputt, aber schließlich war der Bus relativ leer und ich hatte freie Wahl, so dass ich mich ausbreiten konnte. Insgesamt war die Reise schnell und unproblematisch und aufgrund akuter Übermüdung schlief ich auch einige Stunden.
In Ljubljana holte mich mein Couchsurfer vom Bahnhof ab. Er hatte mir geschrieben, er wäre um zehn da, aber dann noch eine SMS, ich sollte mich melden, wenn ich ankommen würde. Da ich früher da war, beschloss ich, einfach um zehn wieder am Bahnhof zu sein und ging mitsamt meinem Gepäck einen kleinen Stadtspaziergang machen. Der große Marktplatz beeindruckte mich sehr – ich liebe Obst- und Gemüsemärkte. Und ich mag es, eine Stadt unvoreingenommen und ohne Begleitung zu erkunden – Couchsurfing ist cool und ich mag es auch, von einem Couchsurfer herumgeführt zu werden, aber allein durch eine fremde Stadt stromern, bedeutet noch einmal anders und anderes zu entdecken. Deswegen nahm ich mir wenigstens eine Stunde allein.
Der Couchsurfer kam schließlich auch noch zu spät und ich schickte ihm SMS, seine Antwort bekam ich aber seltsamerweise erst einen Tag später. Wie auch immer, irgendwann war er da und machte einen kleinen Stadtrundgang mit mir, der schließlich in einem schicken Café endete. Ich trug dabei die ganze Zeit meinen mindestens 15kg-Rucksack. Ich bin zäh, was das Tragen von Rucksäcken angeht und bin immer wieder überrascht, wenn andere Leute meinen Rucksack für mich tragen und über das Gewicht jammern. Ich jammere nicht über das Gewicht – schließlich bin ich selbst schuld, dass ich soviel mitnehme.
Wir gingen dann zu ihm nach Hause, wo ich erstmal duschte, während er für das Mittagessen einkaufen ging. Dann begann er zu kochen und ich wurde immer hungriger – abgesehen von einem Schokocroissant an der Autobahnraststätte hatte ich noch nichts gegessen. Seine Mutter und sein Bruder kamen schließlich erst nach vier zum Essen, wobei der Bruder aufgrund eines Missverständnisses schon gegessen hatte. Sein Pech, denn das Essen war phänomenal. Es gab grünen Salat mit Ruccolla, Birnenspalten, Leinsamen und Sonnenblumenkernen – natürlich lecker angemacht. Für mich gab es zudem gedünstetes Gemüse, für die anderen gebackenen Fisch auf einem Beet aus Ofenkartoffeln und gedünsteten frischen Champignons. Die Ofenkartoffeln mit Champignons aß ich auch, es war einfach zu lecker, als dass ich darauf verzichten wollte, nur weil es neben dem Fisch gelegen hatte. Inkonsequent? Wie sagte die Veganerin in Skopje: „Alles ist ok, solange du dich damit wohlfühlst.“ Zurück in Deutschland stelle ich wieder auf vegan um, aber während der Reise erlag ich einigen Versuchungen und habe deswegen eine Pause eingelegt.
Die Mutter redete Serbisch mit mir – die Familie hatte lange Zeit in Serbien gelebt und war erst seit ein paar Jahren zurück in Ljubljana. Nach dem Essen hingen wir noch ein Weilchen mit dem Bruder rum und später am Abend gingen wir dann noch auf ein Bier aus. Zunächst gingen wir aber zu einer Bar, von deren Dachterasse man einen phänomenalen Blick über die Stadt gehabt hätte - hätte es nicht heftig geschneit. Auch so war die Aussicht irgendwie beeindruckend, nur eben anders.
Die erste Kneipe, in der wir uns niederließen, verwirrte mich dann total. Ich sollte sowas vom Balkan wohl gewohnt sein, dennoch sah ich das erste Mal sturzbetrunkene Leute wortwörtlich auf den Tischen tanzen. Der Schuppen war zwar von In-your-pocket-Guides zur coolsten Bar der Stadt gekürt worden, für meinen Geschmack war es aber einfach nur ein billiges Sauflokal. Die Leute sangen die Lieder nicht mit, sie grölten sie, und die Cocktails, die jetzt auch nicht superbillig waren, wurden wie Limo hintergekippt. Zwischen einem Junggesellenabschied und einer Mädelsrunde kam es zur plumpen Kontaktaufnahme, ein Paar im mittleren Alter zog sich an einem der zentralen Tische gegenseitig fast aus, so dass man bei ihm gut die über die Jeans schwappenden Speckröllchen sehen konnte. Mir war das alles zuviel, was wahrscheinlich an meinem niedrigen Alkoholpegel, der auch durch den äußerst schwachen Cocktail nicht signifikant gehoben wurde, und an meiner Übermüdung lag – ich sah darin nur eine Freakshow. Obwohl ich bereits zum Umfallen müde war und meine Schuhe, Socken und Füße sich voll Schneematsch gesogen hatten und stark unterkühlt waren, gingen wir noch in die Metelkova.


Es ist ein altes Gefängnisgelände, auf dem sich diverse Clubs, Kneipen und Bars und ein Hostel befinden, sehr links, sehr alternativ und sehr entspannt. Wir gingen in einen Club, in dem Ska, Reggae und Musik a la Manu Chao gespielt wurde, kauften Dosenbier (wann habe ich das letzte Mal Dosenbier getrunken? Ah ja richtig, dass muss wohl letztes Jahr in Belgrad gewesen sein, wo wir kein Flaschenbier kaufen konnten) und tanzten ein wenig. Ich war todmüde und kuschelte mich an den Holzofen, der am Rand der Tanzfläche stand und bat meinen Gastgeber schließlich, zu gehen. Er brachte mich nach Hause und zog selbst noch weiter, wobei er dennoch am nächsten Morgen vor mir wach war und mir ein ausgezeichnetes Vollkornflake-Beeren-Bananen-Müsli mit Sojamilch servierte. Wir stiegen noch auf die Festung, bevor ich meinen Zug nach Rijeka nahm.

Rijeka


Ich döste im Zug immer wieder kurz ein, es war trübes Wetter draußen und ich hatte irgendwie nicht ausgeschlafen. Nachdem ich meine Sandwiches verdrückt hatte – Vollkornsemmeln mit Erdnussbutter und Marmelade bzw. Honig, war ich noch schläfriger. Ich verpasste jedoch glücklicherweise den ersten Blick aufs Meer nicht. Ich weiß nicht, was es an dem Blick aufs Wasser ist, dass eine solche Faszination auslöst, aber ich erlag dem Zauber sofort. Ich war begeistert und vollkommen zufrieden mit meiner Entscheidung einen weiteren Abstecher zu machen. 
Wieder holte mich meine Couchsurferin vom Bahnhof ab, wir gingen zu ihr, ich aß noch ein Käsegebäck und wir gingen ein Bier trinken. Sie war noch etwas fertig von ihrem Samstagabend, so dass wir, nachdem wir das End von Star Wars geschaut haben – interessant für mich, da ich keinen einzigen Teil geschaut habe, nun aber das Ende der Gesamtgeschichte kenne – ins Bett gingen. Ich schlief erstaunlich gut auf ihrer grünen Kunstledercouch, die man nicht ausziehen konnte, in dem etwas zu kühlem Raum, eingehüllt in zwei Decken. Irgendwann morgens um sechs oder so hörte ich die Katze neben dem Kopfende des Sofas ihr Trockenfutter schnurpsen und wurde davon wach, aber schlief wieder ein. Halb acht klingelte aus unerfindlichen Gründen mein Wecker – ich schlief wieder ein. Irgendwann ging die Mitbewohnerin zur Uni, ich blieb, wo ich war, Kopf auf der einen Seitenlehne, Füße auf der anderen. Ich schlief bestimmt gute zehn Stunden und es tat mir echt gut.
Meine Couchsurferin musste lernen, so dass ich alleine die Stadt entdeckte. Es war sehr kalt, so dass ich nicht wirklich Lust hatte, jeden Winkel der Stadt zu erkunden und mich damit begnügte, die Burg und das Stadion zu sehen und ein bisschen umherzuschlendern. Die Burg liegt etwas außerhalb und ich nahm den Bus hinwärts (Nummer 2 von der Station Tržnica bis zur vorletzten Station oder zur letzten und dann ein wenig zurücklaufen), zurück lief ich dann. Das Stadion erreichte ich ebenfalls mit dem Bus (Nummer 1 bis Kantrida). Das Stadion liegt zwischen Meer und Felsen, so dass sich hinter den Zuschauertribünen auf der einen seite karger Fels, auf der anderen Seite Meeresrauschen befinden. Nach etwa fünf Stunden war ich wieder bei meiner Gastgeberin und sie kochte mir eine leckere Couscous-Gemüsepfanne.
Rijeka beeindruckte mich sehr. Dafür, dass es eine Industriestadt ist, ist es einfach wunderschön. Und da es eine der weniger schönen kroatischen Küstenstädte sein soll, bin ich echt gespannt auf den Rest. Obwohl das Wetter so ungemütlich war, fand ich Rijeka bezaubernd. Die Architektur und das Stadtbild lassen es sehr italienisch wirken, der Hafen und die Werft geben dem ganzen einen rauen Flair und die Burg und die Felsen verleihem dem ganzen einen mittelalterlich robusten Charme.



Llubljana II


Ich hatte meinen großen Rucksack bei meinem Couchsurfer in Ljubljana gelassen und kehrte am Montagabend dahin zurück, um noch einmal eine Nacht auf seinem Sofa zu nächtigen, ehe ich den Rückweg antrat. Er holte mich wieder vom Bahnhof ab, da er mir nicht zutraute, dass ich allein zu ihm finden würde, und unterhielt sich noch lange mit mir. Er machte mit außerdem einen super leckeren Obstsalat, bevor wir schlafen gingen. Nach viel zu wenig Schlaf startete der nächste Tag dann auch wieder kulinarisch mit Beeren-Hafergrütze und es gab abermals Sandwiches für die Fahrt. Ich habe noch nie bei einem Couchsurfer übernachtet, wo ich so viele leckere und vor allem gesunde Sachen gegessen habe. Es war der Wahnsinn. Vor allem, da ich Essen so mag, waren die Mahlzeiten in Ljubljana für mich ein absolutes Highlight.
Die Rückreise trat ich dann mit dem Zug an. Da mein Couchsurfer sich überhaupt nicht aus der Ruhe bringen ließ und betonte, wie wichtig ein entspannter Start in den Tag für ihn ist, entwickelte ich schon leichte Panik, den Zug zu verpassen. Wir schafften es aber schließlich und der Zug hatte auch noch Verspätung. Ich fuhr dann einige Stunden durch eine Winterlandschaft – Slowenien, Österreich, Deutschland – durch niedliche Dörfer, vorbei an kleinen Burgen, Flüssen und Bächen und sogar einer befahrenen Skipiste, alles schneebedeckt. In den Alpen ging es auch durch ein paar Tunnel, aber der Großteil der Reise war glücklicherweise übertage.

München


Pünktlich trotz Schneefall fuhr der Zug dann im Münchner Hauptbahnhof ein, wo ich mich vor dem auf Regensburg-München-Fahrten häufig genutzten Imbiss postierte, um auf eine weitere Abholung am Bahnhof zu warten. Kurz darauf kam meine nun in München ansässige Studienkollegin. Sie hatte Geburtstag und deswegen hatte ich beschlossen, zu ihr zu fahren und bei ihr zu übernachten, so konnten wir abends noch schön essen gehen. Zunächst fuhren wir aber mit der U-Bahn zu ihr und hingen noch ein wenig in ihrer neuen und sehr gemütlichen Wohnung rum, verdrückten dabei unter anderem leckere Schokomuffins. Etwa halb sieben brachen wir dann zur Pizzeria auf, die wir für die Abendgestaltung auserkoren hatten. Es war brechend voll, dennoch erhielten wir noch einen Platz, allerdings nur für eine Stunde, da später reserviert war. Dennoch war es eine gute Entscheidung, zu bleiben, denn die Pizza war ausgezeichnet. Aus dem Steinofen, mit leckeren, frischen Zutaten und dünnem Boden. Obwohl die Pizzen echt groß war, schaffte ich meine. Nachdem wir zum Gehen aufgefordert worden, da die Leute, die reserviert hatten, eingetroffen waren, gingen wir noch in die gegenüberliegende Kneipe, die ein wenig schicker wirkte und tranken noch ein Bier respektive Aperol Spritz. Ich schlief ausgezeichnet und ließ mich am nächsten Morgen von meiner Freundin nicht stören, die auf Arbeit musste. Als sie gerade ging, stand ich auch auf, denn ich hatte eineinhalb Stunden später ein Skype-Bewerbungsgespräch.
Danach packte ich meinen Kram zusammen und ging zum Bahnhof, um die letzte Zugreise anzutreten, die mich schließlich in die Urheimat führen würde, wo mein Bruder mich am Bahnhof abholte. Das letzte Mal abgeholt werden für diese Reise. 


Jeder Stopp war es wert, gemacht zu werden. Ich habe großartige Menschen kennengelernt, wunderbares Essen genossen, mehr als genug in Zügen gesessen, aber jetzt bin ich auch froh, wieder mal anzukommen. Dennoch, der Weg ist das Ziel. Ich sollte mir zwar generell mehr Zeit fürs Reisen nehmen, aber trotzdem war es gut. Nun freue ich mich auf ganz viele Wiedersehen zu Ostern und hoffentlich auch ein bisschen Entspannung. Und die kroatische Küste und Ljubljana sollte ich mir auch im Sommer nochmal anschauen...

Mittwoch, 27. März 2013

So sollte Couchsurfing funktionieren...

Ich bin in letzter Zeit mal wieder einer geballten Ladung Vorurteile begegnet. Da ich Couchsurferin bin, sei ich auch automatisch sexuell freizügig, so die Annahme. Die Kommentare, die ich hören musste, brachten mich fast dazu, mich zu übergeben. Ja, ich reise gern, ja, ich übernachte bei fremden Männern und ja, ich würde auch gern mal wieder hitchhiken. Aber nein, das ganze hat nichts mit Sex zu tun. Couchsurfing ist keine Dating-Börse, erst recht keine Sex-Börse. Wenn das immer mehr Leute so sehen, ist das gefährlich für mich, als alleinreisende Frau. Aber zum Glück gibt es auch Menschen, die wissen, wie man sich Frauen gegenüber verhält...

 

Und ja, ich habe auch schon mit (männlichen) Couchsurfern getrunken, aber nein, ich war nie so betrunken, dass ich bewusstlos gewesen wäre. Obwohl ich Couchsurfing für relativ sicher halte, bin ich der Meinung, dass jeder Couchsurfer und jede Couchsurferin dennoch ihren gesunden Menschenverstand bedienen sollte und sich nicht in unangenehme Situationen bringen. Dazu gehört es auch, sich nicht besinnungslos zu betrinken, wenn man bei jemanden zu Gast ist, den man nicht besonders gut kennt. 

Dienstag, 26. März 2013

Bye Bye Belgrad...


Der Tag würde kommen und spätestens in der dritten Woche war mir endgültig klar, dass er zu schnell kommen würde. Ich musste Belgrad wieder verlassen. Der Gedanke verursachte mir zwar Unwohlsein, im Endeffekt war dann alles aber gar nicht so schlimm und der Abschied war weniger schwer als erwartet. 


Die letzte Woche in Belgrad genoss ich nochmal etwas bewusster. Ich kaufte mir den Kleinen Prinz auf Serbokratisch und setzte mich in den Kalemegdan-Park, um ihn zu schmökern. Ich gönnte mir extra viele Bureks, Baklava und Palatschinken. Ich verbrachte ein paar Abende mit meinem Gastgeber, der nun endlich ein wenig Zeit hatte, nachdem er einige Arbeiten beendet hatte. Wir redeten bis lang in die Nacht und mein Bier bekam ich auch – in einer sehr authentischen Kneipe in Novi Beograd. Er zeigte mir seine alte Nachbarschaft in Novi Beograd und versuchte mir Serbien zu erklären. Ganz langsam begreife ich dieses Land, diese Stadt und ihre Einwohner, ohne jedoch direkt sagen zu können, warum vieles anders ist. Aber das braucht Zeit und Leben. Da ich im Moment nicht die Möglichkeit habe, dort zu leben, versuche ich die gelebten Erfahrungen durch Filmschauen zu substituieren, wobei mir mein Serbe die Sehenswertesten herauspickte und ich mir von der Videosammlung der Sprachschule ein paar Filme auslieh.
Ich buk noch einmal Muffins für die Gastschwester, die im Handumdrehen verschwanden, ich kaufte Kuchen für die Sprachkursgruppe, der ebenfalls schnell vertilgt wurde. 


Die Sprachkursgruppe war im Endeffekt ein lustiger Haufen, auch wenn wir wohl keine Freunde geworden sind. Da war der Amerikaner, der schon etwa zwei Jahre mit einer Serbin verheiratet war und unglaubliche Probleme hatte, da Serbisch seine erste Fremdsprache war. Das Klischee des sprachlernfaulen Amis bestätigte er dennoch am Ende nicht ganz, da er tatsächlich Fortschritte machte und sich echt Mühe gab. Dann waren da noch drei Deutsche. Frau Merkel, die schon ein wenig älter war und mich in ihrer Mimik und Gestik stark an die Bundeskanzlerin erinnerte. Besonders der etwas verwirrt-erstaunte Blick, wenn sie nicht wusste, was zu tun war, hatte meiner Ansicht nach starke Ähnlichkeit mit einem häufigen Gesichtsausdruck der Kanzlerin. Ein anderer Deutscher war eigentlich gebürtiger Serbe oder auch Bosnier oder auch Donauschwabe, das wusste er selber nicht so genau, weil seine Eltern irgendwann mal aus Bosnien gekommen waren, aber welches ethnische Element jetzt in seiner Erbmasse überwog, konnte er selbst nicht sagen. In der dritten Woche kam noch die Ulmerin, eine übergewichtige, rotgesichtige, aufgrund einer Erkältung schniefende und schnaufende Person, die enorm viel redete und eine sehr praktische Einstellung zum Leben hatte. Mutter von drei Kindern und zwei Adoptivkindern, seit über zwanzig Jahren mit einem Bosnier verheiratet und häufig in Bosnien, wo sie gerade mit ihrem Mann ein Haus baute. Sie war sehr nett und umgänglich, ich habe nur immer so meine Probleme mit Leuten, die viel reden, aber nicht in der gleichen Geschwindigkeit nachdenken und somit oft Klischees und populistisches Gelaber von sich geben. Der letzte Teilnehmer meiner Gruppe war Finne, konnte bereits sehr gut Serbisch und war ein äußerst angenehmer Zeitgenosse. In Finnland war er Tierarzt, jetzt wollte er gern in Serbien leben. Er war wohl zwischen 40 und 50, vielleicht auch über 50 Jahre alt. Er war sehr ruhig und hatte einen sehr feinen, dunklen, ironischen Humor. Am Ende des Kurses schenkte er mir vollkommen unerwartet einen riesigen finnischen Pralinenkasten. Augrund von Größe und Gewicht musste ich den leider in Belgrad lassen, bzw. vor meiner Abreise mit meinem Lieblingsserben dezimieren.


Meine Abreise kam dann recht schnell, meine Gastschwester sagte mir noch einmal, dass ich wiederkommen sollte, meine Gastmutter verlangte noch einmal meine Email-Adresse, mein Gastgeber unterhielt sich noch einmal ein paar Stunden mit mir und organisierte mir einen Fahrdienst. Die Familie gab mir so sehr das Gefühl, bereits zum Inventar zu gehören, Es war wirklich wie in einer Gastfamilie – ich wurde nur ein klein wenig verwöhnt, aber nicht übermäßig, weder zum Essen gezwungen, noch zu sonstigen Aktivitäten. Ich bekam ein weiches Bett, ich konnte mich am Kühlschrank bedienen, ich wurde unterhalten, aber eben auch mal ignoriert, alles lief wie in einer richtigen Familie. Die schönste Szene spielte sich eines Abends ab, als mein Gastgeber eigentlich mit mir ein Bier trinken gehen wollte, aber noch eine wichtige Besprechung mit einer Studienkollegin hatte. Es war bereits neun oder zehn und ich verlor die Hoffnung, dass aus dem Bier noch etwas würde. Da ich die beiden nicht stören wollte, hatte ich mich ins Wohnzimmer, dass zugleich das Schlafzimmer der Mutter war, zurückgezogen und saß an meinem Rechner. Wir redeten über dies und jenes, bis uns die Themen ausgingen. Irgendwann kam mein Gastgeber kurz rein, weil er gerade in der Küche einen Kaffee machte und meinte zur Mutter:

„Ne nervira moj gost!“ [Geh meinem Gast nicht auf die Nerven.]
Die Mutter darauf: „Nije gost, je domaća!“ [Sie ist kein Gast, sie ist heimisch.]
Darauf der Sohn: „Dobro, ne nervira moja nemica.“ [Gut, nerv meine Deutsche nicht.]
Das war für mich natürlich eine Erhebung in den Adelsstand, selbst wenn ich nicht gern als Deutsche definiert werde und mein Gastgeber seiner Mutter Unrecht tat, denn sie gab sich die größte Mühe mich gut zu unterhalten und ich rede sehr gern mit ihr. 


Der eigentliche Abschied am Busbahnhof war kurz und schmerzlos. Ich wusste, dass ich bald wiederkommen würde, dass war inzwischen so sicher wie der Fakt, dass ich immer willkommen sein würde. Wahrscheinlich war es deswegen, dass ich es nicht allzu schwer nahm. Andererseits lag eine spannende Rückreise vor mir. Ich hatte geplant, in Ljubljana und Rijeka vorbeizuschauen, bevor ich in den Zug nach München stieg, der mich zu einer Studienkollegin bringen sollte, wo ich noch eine Nacht bei ihr couchsurfte, ehe ich nach Hause fahren würde, um den Inhalt meines Rucksacks in die Waschmaschine auszuleeren.

Montag, 18. März 2013

Mein Block - Novi Beograd


Wenn man in Beograd auf der Festung steht und Richtung Fluss schaut, sieht man Novi Beograd. Die schönste Aussicht der Stadt geht also auf die Neustadt. Die sozialistische Planstadt wurde 1948 begonnen, obwohl schon vor dem Zweiten Weltkrieg Pläne zur Stadterweiterung bestanden, und ist heute nicht nur der Sitz von Banken und Business, Einkaufscentern und Konsum, sondern vor allem der Wohnsitz eines Drittels der Belgrader Einwohner. Die zahlreichen Blocks kann man ästhetisch finden oder nicht, ich finde sie durchaus lebenswert, auch wenn man, wie ich hier hautnah erleben kann, relativ viel von seinen Nachbarn hört. Novi Beograd ist für mich untrennbar verbunden mit meiner ersten eigenen Belgrad-Reise, also die Geschichts-Exkursion der Uni nicht mitgezählt, als ich zum ersten Mal hier couchsurfte, in eben diesem Block.





Ich fand mich bis vor zwei Wochen hier nie zurecht und verirrte mich praktisch auf dem Weg zur Bushaltestelle. Mittlerweile weiß ich jedoch, welcher Eingang, welche Tür, welcher Block, welche Treppen, welcher Bus, welche Straße und welche Richtung ins Zentrum führt. Die Brankuv Most, die Branko-Brücke, die Alt- und Neustadt verbindet, ist für mich nun zum Inbegriff des Nachhausewegs geworden. Ich weiß jetzt, wo der Supermarkt ist und wo die Bushaltestelle, wann die Ampeln zwar auf Rot stehen, aber die Autos auch eine Weile rot haben werden und wie die Gegend im Abendlicht irgendwie seltsam romantisch wirkt. Denn über Novi Beograd geht die Sonne unter. In der Altstadt, Stari Grad, mag sie aufgehen, aber Sonnenuntergänge haben ja auch was.

Ich mag Novi Beograd irgendwie, wahrscheinlich nur, weil meine serbische Lieblingsfamilie hier wohnt. Und ich weiß, dass ich hier immer willkommen bin. Und ich habe keine Ahnung, warum eigentlich. Hier noch ein paar Impressionen...


Mittwoch, 13. März 2013

Zemun im Sonnenschein

Ich habe mich gestern und heute mit inem netten Australier getroffen, den ich in Skopje kennengelernt habe. Gestern habe ich ihm die zerstörten Ministerien gezeigt, heute war Zemun dran. Zemun ist ein Stadtteil von Belgrad, war aber in der Vergangenheit Teil Österreich-Ungarns, während die Festung Belgrads Teil des Osmanischen Reiches war. Die Donau bildete somit die Grenze.


Heute sieht man Zemun das habsburgische durchaus noch an. Es wirkt zudem im Vergleich zu Belgrad wie eine niedliche Kleinstadt, obwohl es auch 150.000 Einwohner hat. Dieses "Städtchen" hat aber durchaus sehr viel Charme. Wenn man am Ufer der Donau sitzt und den Geruch der Fischrestaurants einatmet, kommt durchaus eine maritime Stimmung auf. 




Wir fuhren mit dem Bus von Novi Beograd nach Zemun und stiegen dann den Hügel mit dem Gardoš-Turm herauf und besuchten den Friedhof. Wir hatten Glück, es war gerade schön sonnig und es herrschte extrem klare Sicht, so dass wir schöne Fotos vom Stadtpanorama machen konnten. Danach schlenderten wir durch kopfsteingepflasterte Straßen den Hügel herunter und ließen uns an der Donau nieder, wo wir eine Limonade tranken. Bevor es vollkommen dunkel wurde, nahmen wir den Bus zurück ins Zentrum.

Montag, 11. März 2013

Wochenendausflug nach Skopje

Spontan bin ich für ein Wochenende nach Skopje gefahren. Um drei nachmittags habe ich mein Busticket gekauft, um 17.30 Uhr ging der Bus. Dazwischen habe ich schnell noch ein paar Sachen in eine Tasche geworfen und mich mit einem Falafel-Sandwich versorgt.

Die Busfahrt war eher unspektakulär, zunächst auf der Autobahn, später auf kleineren Straßen, allerdings war wegen der Dunkelheit kaum etwas von der Landschaft zu erahnen. Wir kamen an der Tito-Raststätte vorbei und hielten ab und zu im Nirgendwo, um Mitfahrer einzuladen, aber an sich war das ganze eher unspektakulär. Etwa halb zwölf kamen wir in Skopje am Busbahnhof an. Ich irrte zunächst etwas desorientiert herum und überlegte, noch das Ticket für die Rückfahrt zu reservieren, beschloss dann aber gleich zum Hostel aufzubrechen, es war bereits spät genug. Ich ließ mich von meinem Navi, welches glücklicherweise dank der kürzlich heruntergeladenen Karte für Mazedonien gut funktionierte, zum Hostel leiten und wanderte so etwa eine halbe Stunde durchs nächtliche Skopje, vorbei an Jugendlichen auf dem Weg zum Club, ziemlich aufgestylt, wie überall auf der Welt in eher mittelmäßigen Partylocations, zusammenfallenden Häusern, die vermutlich von Roma oder Albanern bewohnt wurden und einem Einkaufszentrum. Irgendwann war ich dann da und nachdem mich die Wache vor der chinesischen Botschaft noch in die richtige Straße geleitet hatte, fand ich das Hostel auch. Das war sehr ernüchternd, ziemlich dreckig und ziemlich voll und ich war ziemlich fertig. Nach ein paar Stunden Schlaf im wackeligen Doppelstockbett war ich wieder wach, weil irgendjemand im Zimmer es auch war und beschloss aufzustehen und was von der Stadt zu sehen.
Als ich schlaftrunken im Gemeinschaftsraum stand, mir gegenüber ein anderes Mädchen, meinte sie auf einmal "Do we know each other?". Wie sich herausstellte, hatten wir vor drei Jahren gemeinsam eine Sommerschule in Polen besucht. Wir unterhielten uns noch bei einem einfachen Frühstück, dann versuchte jede von uns, wenigstens kurz das einzige und ziemlich schmutzige Bad zu benutzen und zu bezahlen, um auschecken zu können. Der Hostelinhaber ließ sich allerdings zu so früher Stunde nicht sehen und wir mussten noch ein wenig warten. Dann bekam ich auch eine schlechte, kopierte Karte der Stadt, auf der er eine abenteuerliche Route einzeichnete, die mich in die Innenstadt führen würde. Ich überlegte, ob ich nicht zum Berg aufbrechen wollte, wo sich ein Kloster und ein riesige Kreuz, das Milleniums-Kreuz, befinden sollten, entschied mich dann aber doch aufgrund des Nieselregens und des trüben Wetters dagegen - ich hätte wohl kaum etwas von der Stadt gesehen von da oben. Also machte ich mich auf den Weg in die Stadt, die irgendwie doch nicht so einfach zu finden war, und endete schließlich nach einem Platz mit gefühlten 73 Statuen in einer Baustelle, beziehungsweise in einer Serie von ineinander verketteten Baustellen. Diese gehören zum Projekt "Skopje 2014", welches zum Ziel hat, der Stadt bis zum Jahr 2014 ein komplett neues Gesicht zu geben. Ein paar interessante Hintergrundinfos über diese Megalomanie finden sich auf der englischen und deutschen Wikipedia.






Für den Besucher bedeutet es vor allem, dass er sich in Skopje fühlt, als wäre er auf einer Baustelle unterwegs. Überquert man die Steinerne Brücke zum Alten Bazar der Stadt, steht man in Sandhaufen und Drecklöchern und muss seinen Weg durch die Baustellen suchen, denn der Weg geradeaus ist von mehreren Bauzäunen versperrt.


Der alte Bazar ist der schönere Teil der Stadt. Der Stadtteil ist zwar nicht besonders groß und Anfang März sind die Gassen auch nicht besonders belebt, dennoch war es sehr schön, hindurch zu schlendern und ein bisschen verloren zu gehen.
Außerdem ist an den Bazar angeschlossen ein riesiger überdachter Markt, wo man praktisch alles kaufen kann. Ich erwarb Gewürze und Oliven. Beim Mittagessen hatte ich einen Australier kennen gelernt, mit dem ich dann noch zur alten Moschee ging. Ein netter Albaner erklärte mir auf bruchstückhaftem Serbisch ein paar Sachen zur Moschee - die angeblich größte und älteste auf dem Balkan - und dass die Stadt gemisch muslimisch-christlich wäre, mit einem großen Anteil von Albanern neben der mazedonischen Mehrheitsbevölkerung. Dabei kann man nach dem offiziellen Zensus von 2002 seine Ansicht, dass die Bevölkerung zur Hälfte christlich und zur Hälfte muslimisch, also auch zur Hälfte überwiegend mazedonisch mit anderen Gruppen wie Serben und Bulgaren und zur Hälfte albanisch mit Minderheiten wie Bosniaken und Roma, wäre, anzweifeln. Die Moschee war jedenfalls beeindruckend, auch wenn, als er das Licht einschaltete, leider nicht der Kronleuchter erstrahlte sondern ein paar Neonröhren, die eine Gebetsnische illuminierten.



Die Festung war leider für Besucher geschlossen und so wanderten wir noch ein wenig ziellos durch die Stadt, bevor ich meinen Couchsurfer traf, bei dem ich die zweite Nacht verbringen wollte. Er hatte noch eine weitere Couchsurferin da, eine nette Polin, mit der ich die nächsten Stunden verbrachte, bis er Zeit für uns hatte. Sie kochte uns dann auch eine fantastische vegane Suppe, während mein Host und ich meine Tasche vom Hostel holten. Wir schauten in dieser Nacht dann lange Filme und schliefen sehr spät, dennoch war ich wieder früh wach und stand auch auf, nichtsahnend, dass es erst kurz nach acht war.
Ich schlich mich heraus und begann den Aufstieg auf den Berg mit dem Milleniumskreuz und dem Kloster. Als ich am Kreuz ankam, war ich schon ziemlich kaputt - die Drahtseilbahn funktionierte aus unerfindlichen Gründen nicht - und eigentlich wollte ich noch gern zum Kloster. Nach einigem hin und her Überlegen, einer Stärkung mit Schokoriegel, Chips und Eis, begab ich mich dann doch noch dorthin. Meine Füße schmerzten bereits, und der Abstieg war nahezu unerträglich, aber trotzdem lohnte sich dieser Umweg vollkommen. Vor allem, weil nicht, wie am Kreuz Hunderte von Leuten unterwegs waren sondern nur Dutzende. Als ich zurückging und schließlich auf einer Art Eselspfad in die Stadt zurückkehrte, war ich nahezu alleine.




Ich war total kaputt, als ich wieder bei meinem Host eintraf. Kurze Zeit später kam auch die Polin von ihrem Tagesausflug zurück. Sie war später aufgebrochen und hatte sich zu einem Tal mit See begeben. Wir gingen noch zusammen essen und Bier trinken, so dass ich gut gefüllt, zuversichtlich war, dass ich im Bus gut schlafen würde. Das tat ich dann auch. Auf den Hinweis, man solle seinen Pass herausholen, nahm ich meinen Personalausweis aus dem Portemonnaie, dämmerte allerdings, in in der Hand haltend, wieder weg, so dass mich sowohl der Grenzbeamte, als auch der Mensch, der im Bus vor mir saß, aufforderten, ihn herzugeben, was ich dann auch schleunigst tat.



Alles in allem ein wunderbares Wochenende. Ich hätte mir sicher noch ein paar Museen anschauen können, hätte ich mehr Zeit gehabt, aber auch so passte es eigentlich. Ein Tag Stadt, ein Tag Natur - es war eine gute Mischung. Ich empfehle Skopje auf jeden Fall weiter, auch wenn es auf den ersten Blick nicht besonders einladend wirkt, Informationen oft nur auf kyrillisch zu haben sind (wie an der geschlossenen Touristeninformation, die praktischerweise den Grund auf Mazedonisch verkündete), oder nicht existierten (wie die fehlenden Wegweiser zum Kloster). Dennoch, eine schöne Stadt. Aber Belgrad bleibt mein Favorit...

Dienstag, 5. März 2013

Sonne in Belgrad




Ich bin jetzt zwei Tage in Belgrad und der Sprachkurs hat gut angefangen. Ich wohne nun bei meinem serbischen Couchsurfing-Freund, den ich nun bereits zum vierten Mal treffe (hier sind die Aufenthalte eins, zwei und drei) und der ein guter Freund geworden ist. Ich hänge wie immer an seinen Lippen, wenn er seine großartigen Geschichten erzählt, egal ob es um eigene Erlebnisse oder die Geschichte Jugoslawiens und der Nachfolgerstaaten geht. Er kann großartig erzählen.

Der Sprachkurs ist gut und wirklich intensiv, könnte mich aber ruhig noch ein wenig mehr fordern. Ich wäre lieber in der Fortgeschrittenen-Gruppe, weil ich mich da ein bisschen mehr anstrengen müsste. Aber so ist es auch ok. Am Freitag möchte ich nach Skopje fahren. Aus Pristina wird nichts, denn ich habe keinen Reisepass und den braucht man, um in den Kosovo zu kommen. Pech gehabt.

Ich laufe viel durch die Stadt, genieße es einfach, hier zu sein. Es ist mal wieder genau das Richtige. Ich fühle mich am richtigen Platz im Moment.

Sonntag, 3. März 2013

Waiting for the elephant...





6:35 Uhr fuhr der Zug pünktlich in Belgrad ein. Nachdem ich die gefühlte halbe Nacht im Halbschlaf verbracht hatte, um meinen Personalausweis vorzuzeigen - waren das wirklich bloß zwei Grenzbeamte, die den sehen wollten? - allerdings auch die Annehmlichkeiten eines Abteils für mich allein genießen konnte, war ich sehr müde, aber auch euphorisch. Ich liebe den Moment, wenn die Stadt erwacht. Nur normalerweise tut sie das lange vor mir. Deswegen ist es irgendwie auch immer großartig, zur Unzeit in einer Stadt einzutreffen. Früh um sieben durch die Straßen zu schlendern. Dazu kam noch, dass die Gepäckaufbewahrung am Bahnhof so aussah, als wäre sie schon jahrelang nicht mehr in Betrieb gewesen und ich meine 20kg Rucksack mit mir durch die Straßen Belgrads schleppen musste. Das tat ich allerdings voller Elan, denn ich wollte zur Kalemegdan.
Ich lief die Balkanska-Straße herauf, dann durch die Fußgängerzone Knez Mihailova Richtung Festung. Die Stadt war nicht ausgestorben, verglichen mit allen vorherigen Besuchen aber dennoch verdammt leer. Tea Obrehts Elefant aus "The Tiger's Wife" kam mir in den Sinn. Es war nicht Nacht, es herrschte glücklicherweise weder Krieg noch Zerstörung, aber dennoch könnte jeden Moment etwas Magisches passieren, wie in Obrehts Roman so häufig.
Ich kaufte mir in einem 24-Stunden-Supermarkt (die 24-Stunden-Bäckerei, an der ich vorbei gekommen war, hatte zu gehabt) irgendeine Art Brot-Brötchen-Brezel-Dings, weich und weißbrotig, das angeblich "Ethno" war - was auch immer das bei einem Stück Brot bedeutet - und eine Packung Schokobananen (die sind meist vegan und ich fand auch auf der Packung keinen Hinweis auf mlečni [Milch] - Zutaten). 
Dann also zur Kalemegdan. Auf der Bank war noch Rauhreif, die Temperaturanzeige am Bahnhof hatte 0°C angezeigt und von den Flüssen Sava und Donau zog feuchte Luft herauf. Novi Beograd lag im Dunst. Ein paar einzelne Leute führten ihre Hunde aus, ein paar Parkwächter stromerten selbst zu dieser Stunde umher. Wenn ich mich auf die Festungsmauer setzen würde, würden sie mich bestimmt verscheuchen. Das taten sie immer, aus Angst, jemand könnte fallen. Oder springen? 


Ich war glücklich. Der Himmel war blassblau, die Sonne stand tief und tauchte die Stadt in die ersten morgendlichen Strahlen. 


Nach einer kurzen Pause und Erholung für die Schultern beschloss ich, zum Hostel aufzubrechen, dass ich noch in der Nacht vorher schnell gebucht hatte, weil ich ja noch nicht wusste, wo ich bleiben würde und außerdem registriert werden wollte, das muss man in Serbien spätestens 24 Stunden nach Ankunft tun und bei einer privaten Übernachtung hätte ich zur Polizei gehen müssen. Ich fand die Straße recht schnell, nur stellte sich heraus, dass ich mir die falsche Adresse gemerkt hatte. Ich hatte mir nämlich am Abend zuvor zwei Hostels angeschaut - und schließlich das andere gebucht. Da ich von dem anderen zwar noch grob die Lage im Stadtplan in Erinnerung hatte, aber nicht die Adresse, beschloss ich, in irgendeinem Café das Internet zu konsultieren. Ich war grad an zwei Cafés vorbeigekommen und das eine hatte einen Zettel im Schaufenster hängen, dass sie Kaffee auch mit Sojamilch anbieten würden. Es hatte zwar noch nicht ganz offen, die Bedienung ließ mich dennoch rein, ich trank seit Ewigkeiten mal wieder Kaffee - sehr lecker - und machte es mir gemütlich. Das andere Hostel war auch nicht weit, ich konnte zu Fuß gehen. Nur fand ich es nicht gleich, weil die Häuser etwas unzureichend beschriftet waren. Dann hatte ich es endlich gefunden, allerdings waren nur andere Gäste - sehr nette Mädels aus Mostar, wenn ich das richtig verstanden habe - anwesend und kein Personal. Nach einer Viertel Stunde kam die Angestellte und ich bezahlte. Jetzt will ich mich noch kurz frisch machen, dann geht es ab in die Stadt. 

Samstag, 2. März 2013

Budapest - alles ganz szimpla





Gestern Abend bin ich in Budapest angekommen, meinem Zwischenstopp auf dem Weg nach Belgrad. Gegen elf Uhr abends war ich am Hostel, keine Stunde später war ich auf dem Weg zum Szimpla, meinem Lieblingsruinenpub, um noch ein Bierchen zu trinken. Ich drehte so meine Runden, mit einem großen Bier in der Hand und überlegte schon irgendwelche Leute anzusprechen, oder mich an die Bar zu hocken und ansprechen zu lassen. So hatte das meine Rumänien-Zimmergenossin immer gemacht und war damit sehr erfolgreich gewesen. Mein Bier neigte sich aber auch schon dem Ende und ich überlegte, ob ich nicht einfach weiterziehen sollte und woanders noch ein letztes Bier trinken und dann ins Bett fallen. Mein Plan war, später als meine Zimmergenossen im 6-er Schlafsaal zu kommen, damit ich nicht von ihnen gewckt würde, wenn sie hereinstolperten.

Was dann passierte, war der Wahnsinn. Jemand tippte mich an. Ich dachte mir, da muss mich jemand verwechseln oder vielleicht will mich jemand mit Anmachsprüchen zutexten. Ich dreh mich rum, und da steht eine Kommilitonin aus Regensburg, die gerade an der Central European University in Budapest studiert. Wir freuen uns beide wie verrückt. Sie hat noch ein paar Finninnen im Schlepptau, und gemeinsam gehen wir an die Bar, um einen Palinka (ungarischer Obstschnaps) zu trinken. Der Studienalltag ist sehr stressig, wie ich höre, und so verabschieden sich die Mädels früh. Ich drehe noch eine Runde um den Block und gehe schließlich zurück ins Hostel.

Geschlafen habe ich mittelmäßig, ich hatte schlimmeres erwartet bei dem wackligen Hochbett, morgens bin ich natürlich wachgeworden, als alle aufstanden (und sich zwei der Typen im Zimmer auch noch recht laut unterhielten), aber dann konnte ich doch noch mal eine Stunde schlafen. Um zwölf checkte ich aus und begab ich mich auf die Suche nach einem veganen Restaurant, dass ich im Internet gefunden hatte. Ich fand es, musste dann aber noch nach einem Bankomaten suchen, dann endlich konnte ich mich niederlassen und leckere Sachen bestellen und davon viel. Das Essen war fantastisch, aber danach war ich ganz kurz vorm Platzen.


Ich begab mich dann schnellen Schrittes zum Treffpunkt für den "Free City Walk on Communism", musste aber leider nach zehn Minuten wieder gehen, weil mir das alles viel zu einseitig war. Das sollte sich kein Historiker jemals antun. Ich meine, ich habe sicher noch Wissenslücken und es wäre cool gewesen, die jeweiligen Orte in der Stadt zu sehen, die in dem Kontext relevant waren, aber es war mir einfach zu krass antikommunistisch und oberflächlich. Kurz gefasst: Die Russen kamen, haben das Land besetzt, den Kommunismus eingeführt, die Bevölkerung war immer antikommunistisch und hat darunter sehr stark gelitten. Später am Abend habe ich mir die Story auch noch mal kurz im "Haus des Terrors" angeschaut. Interessante Ausstellung, interessant aufgearbeitet, und vollkommene Gehirnwäsche. Ähnlich wie auch im Museum des Warschauer Aufstands in Warschau wird man multimedial von allen Seiten beschallt und dabei durchgeschleust, ohne selbst denken und interpretieren zu müssen. Ganz einfach eben: böse, böse Sowjetunion.

Außerdem bin ich noch ganz viel durch die Gegend gelaufen und habe noch ein paar wenige Fotos gemacht. Am Abend habe ich mir dann bei einem anderen Veganer, einem Rohkostveganer, noch einen Tee und ein Stück fetten Schokokuchen gegönnt. Lecker lecker. Wenn ich in Belgrad auch nur annähernd soviele vegane Optionen finde wie hier, und die auch nur halb so gut sind, sind die nächsten Wochen gerettet.

Absprung mit wenig Anlauf

Mal wieder bin ich auf dem Weg nach Osten, nach Südosten, um genau zu sein. Hinter mir liegen stressige Wochen, vor mir liegen stressige Wochen, aber im Moment ist alles genau richtig. Noch habe ich es nicht geschafft, meine Wohnung unterzuvermieten, allerdings bin ich praktisch bereits zu 95% ausgezogen. Mein Fahrrad und ein paar Kisten fehlen noch. Wenn ich zurückkomme, werde ich also nicht mehr nach Regensburg gehen, sondern mich in der Urheimat niederlassen. Der Gedanke macht mir abwechselnd Angst und erscheint mir ganz reizvoll. Wie es in der Praxis aussieht, wird sich zeigen. Wenn ich komme, erwartet mich erst einmal eine Vielzahl von Kisten, die darauf wartet, in den Bestand des Hauses integriert zu werden. Noch mehr Kram. Eigentlich arbeite ich doch daran, dass es weniger wird...


Zunächst aber fast vier Wochen Südosteuropa. Eine Auszeit, eine Pause, aber auch der Wille und die Neugier zum Lernen – Intensivsprachkurs Serbisch steht an. Ich habe noch immer keine Ahnung, wo ich in Belgrad wohnen werde, was nur eine leichte Unsicherheit aufkommen ließ. Ich zwinge mich, balkanischer zu sein, und auch wenn ich meine Herkunft nicht leugnen kann, bin ich seit letztem Jahr schon sehr viel gelassener geworden. Und noch angstfreier. Allein nach Pristina? Warum nicht? Ich berichte, falls ich es schaffe, hinzukommen. Ich habe noch nichts geplant für die nächsten drei Wochenenden, ich hoffe, ich werde nicht zu platt sein, um etwas zu unternehmen. Aber es geht auch ohne Planung. Letzten Sommer der Balkantrip hat gezeigt, wie am Ende alles irgendwie funktioniert. Aber vom Fräulein aus Berlin, meiner Erasmuskollegin, weiß ich auch, dass man manchmal nicht so viel unterwegs sein sollte, sondern lieber mal ausruhen und genießen. Ich werde beides im Hinterkopf behalten und je nach Laune entweder chillen oder reisen.