6:35 Uhr fuhr der Zug pünktlich in Belgrad ein. Nachdem ich die gefühlte halbe Nacht im Halbschlaf verbracht hatte, um meinen Personalausweis vorzuzeigen - waren das wirklich bloß zwei Grenzbeamte, die den sehen wollten? - allerdings auch die Annehmlichkeiten eines Abteils für mich allein genießen konnte, war ich sehr müde, aber auch euphorisch. Ich liebe den Moment, wenn die Stadt erwacht. Nur normalerweise tut sie das lange vor mir. Deswegen ist es irgendwie auch immer großartig, zur Unzeit in einer Stadt einzutreffen. Früh um sieben durch die Straßen zu schlendern. Dazu kam noch, dass die Gepäckaufbewahrung am Bahnhof so aussah, als wäre sie schon jahrelang nicht mehr in Betrieb gewesen und ich meine 20kg Rucksack mit mir durch die Straßen Belgrads schleppen musste. Das tat ich allerdings voller Elan, denn ich wollte zur Kalemegdan.
Ich lief die Balkanska-Straße herauf, dann durch die Fußgängerzone Knez Mihailova Richtung Festung. Die Stadt war nicht ausgestorben, verglichen mit allen vorherigen Besuchen aber dennoch verdammt leer. Tea Obrehts Elefant aus "The Tiger's Wife" kam mir in den Sinn. Es war nicht Nacht, es herrschte glücklicherweise weder Krieg noch Zerstörung, aber dennoch könnte jeden Moment etwas Magisches passieren, wie in Obrehts Roman so häufig.
Ich kaufte mir in einem 24-Stunden-Supermarkt (die 24-Stunden-Bäckerei, an der ich vorbei gekommen war, hatte zu gehabt) irgendeine Art Brot-Brötchen-Brezel-Dings, weich und weißbrotig, das angeblich "Ethno" war - was auch immer das bei einem Stück Brot bedeutet - und eine Packung Schokobananen (die sind meist vegan und ich fand auch auf der Packung keinen Hinweis auf mlečni [Milch] - Zutaten).
Dann also zur Kalemegdan. Auf der Bank war noch Rauhreif, die Temperaturanzeige am Bahnhof hatte 0°C angezeigt und von den Flüssen Sava und Donau zog feuchte Luft herauf. Novi Beograd lag im Dunst. Ein paar einzelne Leute führten ihre Hunde aus, ein paar Parkwächter stromerten selbst zu dieser Stunde umher. Wenn ich mich auf die Festungsmauer setzen würde, würden sie mich bestimmt verscheuchen. Das taten sie immer, aus Angst, jemand könnte fallen. Oder springen?
Ich war glücklich. Der Himmel war blassblau, die Sonne stand tief und tauchte die Stadt in die ersten morgendlichen Strahlen.
Nach einer kurzen Pause und Erholung für die Schultern beschloss ich, zum Hostel aufzubrechen, dass ich noch in der Nacht vorher schnell gebucht hatte, weil ich ja noch nicht wusste, wo ich bleiben würde und außerdem registriert werden wollte, das muss man in Serbien spätestens 24 Stunden nach Ankunft tun und bei einer privaten Übernachtung hätte ich zur Polizei gehen müssen. Ich fand die Straße recht schnell, nur stellte sich heraus, dass ich mir die falsche Adresse gemerkt hatte. Ich hatte mir nämlich am Abend zuvor zwei Hostels angeschaut - und schließlich das andere gebucht. Da ich von dem anderen zwar noch grob die Lage im Stadtplan in Erinnerung hatte, aber nicht die Adresse, beschloss ich, in irgendeinem Café das Internet zu konsultieren. Ich war grad an zwei Cafés vorbeigekommen und das eine hatte einen Zettel im Schaufenster hängen, dass sie Kaffee auch mit Sojamilch anbieten würden. Es hatte zwar noch nicht ganz offen, die Bedienung ließ mich dennoch rein, ich trank seit Ewigkeiten mal wieder Kaffee - sehr lecker - und machte es mir gemütlich. Das andere Hostel war auch nicht weit, ich konnte zu Fuß gehen. Nur fand ich es nicht gleich, weil die Häuser etwas unzureichend beschriftet waren. Dann hatte ich es endlich gefunden, allerdings waren nur andere Gäste - sehr nette Mädels aus Mostar, wenn ich das richtig verstanden habe - anwesend und kein Personal. Nach einer Viertel Stunde kam die Angestellte und ich bezahlte. Jetzt will ich mich noch kurz frisch machen, dann geht es ab in die Stadt.
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