Der Tag würde kommen und spätestens
in der dritten Woche war mir endgültig klar, dass er zu schnell
kommen würde. Ich musste Belgrad wieder verlassen. Der Gedanke
verursachte mir zwar Unwohlsein, im Endeffekt war dann alles aber gar
nicht so schlimm und der Abschied war weniger schwer als erwartet.
Die letzte Woche in Belgrad genoss ich
nochmal etwas bewusster. Ich kaufte mir den Kleinen Prinz auf
Serbokratisch und setzte mich in den Kalemegdan-Park, um ihn zu
schmökern. Ich gönnte mir extra viele Bureks, Baklava und
Palatschinken. Ich verbrachte ein paar Abende mit meinem Gastgeber,
der nun endlich ein wenig Zeit hatte, nachdem er einige Arbeiten
beendet hatte. Wir redeten bis lang in die Nacht und mein Bier bekam
ich auch – in einer sehr authentischen Kneipe in Novi Beograd. Er
zeigte mir seine alte Nachbarschaft in Novi Beograd und versuchte mir
Serbien zu erklären. Ganz langsam begreife ich dieses Land, diese
Stadt und ihre Einwohner, ohne jedoch direkt sagen zu können, warum
vieles anders ist. Aber das braucht Zeit und Leben. Da ich im Moment
nicht die Möglichkeit habe, dort zu leben, versuche ich die gelebten
Erfahrungen durch Filmschauen zu substituieren, wobei mir mein Serbe
die Sehenswertesten herauspickte und ich mir von der Videosammlung
der Sprachschule ein paar Filme auslieh.
Ich buk noch einmal Muffins für die
Gastschwester, die im Handumdrehen verschwanden, ich kaufte Kuchen
für die Sprachkursgruppe, der ebenfalls schnell vertilgt wurde.
Die Sprachkursgruppe war im Endeffekt ein lustiger Haufen, auch wenn wir wohl keine Freunde geworden sind. Da war der Amerikaner, der schon etwa zwei Jahre mit einer Serbin verheiratet war und unglaubliche Probleme hatte, da Serbisch seine erste Fremdsprache war. Das Klischee des sprachlernfaulen Amis bestätigte er dennoch am Ende nicht ganz, da er tatsächlich Fortschritte machte und sich echt Mühe gab. Dann waren da noch drei Deutsche. Frau Merkel, die schon ein wenig älter war und mich in ihrer Mimik und Gestik stark an die Bundeskanzlerin erinnerte. Besonders der etwas verwirrt-erstaunte Blick, wenn sie nicht wusste, was zu tun war, hatte meiner Ansicht nach starke Ähnlichkeit mit einem häufigen Gesichtsausdruck der Kanzlerin. Ein anderer Deutscher war eigentlich gebürtiger Serbe oder auch Bosnier oder auch Donauschwabe, das wusste er selber nicht so genau, weil seine Eltern irgendwann mal aus Bosnien gekommen waren, aber welches ethnische Element jetzt in seiner Erbmasse überwog, konnte er selbst nicht sagen. In der dritten Woche kam noch die Ulmerin, eine übergewichtige, rotgesichtige, aufgrund einer Erkältung schniefende und schnaufende Person, die enorm viel redete und eine sehr praktische Einstellung zum Leben hatte. Mutter von drei Kindern und zwei Adoptivkindern, seit über zwanzig Jahren mit einem Bosnier verheiratet und häufig in Bosnien, wo sie gerade mit ihrem Mann ein Haus baute. Sie war sehr nett und umgänglich, ich habe nur immer so meine Probleme mit Leuten, die viel reden, aber nicht in der gleichen Geschwindigkeit nachdenken und somit oft Klischees und populistisches Gelaber von sich geben. Der letzte Teilnehmer meiner Gruppe war Finne, konnte bereits sehr gut Serbisch und war ein äußerst angenehmer Zeitgenosse. In Finnland war er Tierarzt, jetzt wollte er gern in Serbien leben. Er war wohl zwischen 40 und 50, vielleicht auch über 50 Jahre alt. Er war sehr ruhig und hatte einen sehr feinen, dunklen, ironischen Humor. Am Ende des Kurses schenkte er mir vollkommen unerwartet einen riesigen finnischen Pralinenkasten. Augrund von Größe und Gewicht musste ich den leider in Belgrad lassen, bzw. vor meiner Abreise mit meinem Lieblingsserben dezimieren.
Meine Abreise kam dann recht schnell, meine Gastschwester sagte mir noch einmal, dass ich wiederkommen sollte, meine Gastmutter verlangte noch einmal meine Email-Adresse, mein Gastgeber unterhielt sich noch einmal ein paar Stunden mit mir und organisierte mir einen Fahrdienst. Die Familie gab mir so sehr das Gefühl, bereits zum Inventar zu gehören, Es war wirklich wie in einer Gastfamilie – ich wurde nur ein klein wenig verwöhnt, aber nicht übermäßig, weder zum Essen gezwungen, noch zu sonstigen Aktivitäten. Ich bekam ein weiches Bett, ich konnte mich am Kühlschrank bedienen, ich wurde unterhalten, aber eben auch mal ignoriert, alles lief wie in einer richtigen Familie. Die schönste Szene spielte sich eines Abends ab, als mein Gastgeber eigentlich mit mir ein Bier trinken gehen wollte, aber noch eine wichtige Besprechung mit einer Studienkollegin hatte. Es war bereits neun oder zehn und ich verlor die Hoffnung, dass aus dem Bier noch etwas würde. Da ich die beiden nicht stören wollte, hatte ich mich ins Wohnzimmer, dass zugleich das Schlafzimmer der Mutter war, zurückgezogen und saß an meinem Rechner. Wir redeten über dies und jenes, bis uns die Themen ausgingen. Irgendwann kam mein Gastgeber kurz rein, weil er gerade in der Küche einen Kaffee machte und meinte zur Mutter:
„Ne nervira moj gost!“ [Geh meinem Gast nicht auf die Nerven.]
Die Mutter darauf: „Nije gost, je domaća!“ [Sie ist kein Gast, sie ist heimisch.]
Darauf der Sohn: „Dobro, ne nervira moja nemica.“ [Gut, nerv meine Deutsche nicht.]
Das war für mich
natürlich eine Erhebung in den Adelsstand, selbst wenn ich nicht
gern als Deutsche definiert werde und mein Gastgeber seiner Mutter
Unrecht tat, denn sie gab sich die größte Mühe mich gut zu
unterhalten und ich rede sehr gern mit ihr.
Der eigentliche Abschied am Busbahnhof
war kurz und schmerzlos. Ich wusste, dass ich bald wiederkommen
würde, dass war inzwischen so sicher wie der Fakt, dass ich immer
willkommen sein würde. Wahrscheinlich war es deswegen, dass ich es
nicht allzu schwer nahm. Andererseits lag eine spannende Rückreise
vor mir. Ich hatte geplant, in Ljubljana und Rijeka vorbeizuschauen,
bevor ich in den Zug nach München stieg, der mich zu einer
Studienkollegin bringen sollte, wo ich noch eine Nacht bei ihr
couchsurfte, ehe ich nach Hause fahren würde, um den Inhalt meines
Rucksacks in die Waschmaschine auszuleeren.
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