Mit einem Nachtbus der türkischen
Busgesellschaft Metrolines brach ich von Varna nach Istanbul auf. Ich
saß neben einer jungen Tartarin, die in Istanbul studierte, aber aus
Bulgarien kam, und die mir noch sehr viel weiter helfen sollte. Der
Bus war hypermodern, in jedem Sitz war ein kleiner Fernseher
eingelassen, den man benutzen konnte, wenn man türkisch verstand. Es
gab Wasser und Tee, allerdings wurde ich ziemlich schnell von der
etwas giftigen Stewardess ignoriert, vielleicht, weil es sie nervte,
dass ich weder bulgarisch noch türkisch verstand. Vielleicht, weil
Touristen sie nervten. Ich schlief sehr wenig. In Bussen schlafe ich
generell schlecht und dann kam ja auch noch mitten in der Nacht, ich
denke so gegen zwei Uhr, kann mich aber nicht mehr recht erinnern,
die Grenze. Das hieß: raus aus dem Bus, warten, Ewigkeiten an der
Passkontrolle anstehen, wo es keine Toilette gab, wieder zum Bus,
warten, Gepäck holen, warten, mit dem Gepäck durch den Zoll,
warten, rein in den Bus. Die Grenzkontrolle war relativ schnell
erledigt – Stempel in den Pass und fertig. Die Zollkontrolle war
aufwändiger. Wie am Flughafen gab es ein kleines Gepäckband und so
ein Gerät, wo das Gepäck durchleuchtet wird. Ich legte auf das Band
– einen riesigen Trekkingrucksack, eine grüne Tasche, die mein
Handgepäck war, einen Schlafsack. Heraus kamen der rote
Trekkingrucksack und die grüne Tasche. Ich wartete. Zwei Personen
gingen vorbei, nahmen ihr Gepäck auf, aber der Schlafsack blieb
verschollen. Ich war müde, ich war genervt, ich dachte darüber
nach, den verdammten Schlafsack zurück zu lassen. Aber ich wollte ja
noch weiter couchsurfen und ich dachte doch, dass ich ihn vielleicht
noch brauchen würde und so ging ich zur Stewardess. Eine schlechte
Idee. Mit Handbewegungen bedeutete sie mir, endlich einzusteigen und
schimpfte ein bisschen auf mich ein, in einer Sprache, die ich nicht
verstand. Ich gab nicht auf. Ging zum Bus, zu meiner süßen
Sitznachbarin, die sehr gut Englisch konnte und erklärte ihr mein
Problem. Wir gingen zurück zum Zoll und erklärten es dem
Zollbeamten. Der guckte auf seinen Bildschirm – nichts zu sehen.
Die Stewardess hatte einen triumphierenden Blick und wollte bereits
wieder mit herumscheuchen anfangen, da kletterte der Zollbeamte aufs
Gepäckband und schaute in die Maschine. Als er diese schwarzen
Plastikvorhänge hob, sah ich meinen Schlafsack schon, die ungeduldig
werdende Stewardess aber nicht. Ich war froh, dass ich selber noch
Wasser dabei hatte, von ihr würde ich wohl auf der restlichen Fahrt
nichts mehr bekommen. Nach einer Weile und einigen Herumzerren, denn
der Schlafsack hatte sich wohl im Inneren des Gepäckröntgengeräts
verfangen, kam der Zollbeamte mit meinem Schlafsack. Nun aber husch
in den Bus. Sonst würde die Stewardess dem Busfahrer anweisen, uns
am Fahrbahnrand auszusetzen.
Der Rest der Reise war ruhig, wenn ich
auch nicht mehr wirklich schlief. Als die ersten Vorstädte von
Istanbul auftauchten war ich wach und neugierig. Wieder in dieser
Riesenstadt zu sein, die so fern von allem liegt, was man sich
vorstellen kann. Ich war bereits zwei Mal da und wieder würde es ein
vollkommen anderes Erlebnis sein. Das Istanbul zwar mein eigentliches
Ziel der Reise, der Grund meines Wegs entlang der Schwarzmeerküste
und meines Rückwegs über Belgrad war, aber dennoch eben nur ein
Zwischenziel zwischen Varna und Belgrad, passte dazu ganz gut.
Istanbul liegt dazwischen, zwischen den Welten, wenn mir die
Benutzung dieses Klischees erlaubt sein möge. Natürlich, die alte
Geschichte – der Balkan, wo Orient und Okzident aufeinanderprallen
und gewissermaßen Istanbul als Hauptstadt des Balkans. Ehemaliges
Zentrum der Orthodoxie, heute muslimisch, aber auch säkular. Eine
europäische moderne Gesellschaft, Säkularität und Konsum treffen
auf eine traditionelle islamische Gesellschaft mit traditionellen
Werten, Gelassenheit und Gastfreundschaft. Der Bospurus ist keine
Trennlinie, sondern ein Übergang und mit seinem Wasser schwappt ein
Hauch Ost nach West und umgekehrt. Die Stadt ist riesig, die
Stadtteile an sich schon so groß wie einzelne Städte, so
verschieden wie einzelne Städte, so bunt wie die Welt. Natürlich,
die Mengen an Touristen die durch die Straßen fluten, aber dann
läuft man wieder durch das Wohnviertel in Besiktas oder sitzt im
Frühstückscafé und sieht keine Backpacker, keine Kulturtouristen
und niemanden auf Cityhopping oder Shoppingtrip. Man kan verloren
gehen in dem Straßengewirr, man kann verloren gehen, in den Gassen
um den großen Basar, man kann verloren gehen, beim Herumlaufen auf
der asiatischen Seite, man kann sich vergessen, beim Blick auf das
Wasser. Und man kann sich finden. Kann sich sicher sein, dass man da
ist, wo man hin wollte. Das alles gerade richtig ist. Das Istanbul
der Ort ist, der gerade das Lebensgefühl am Besten ausdrückt. Diese
Stadt, die das rosarot-romantische Ziel aller hippiesken Hitchhiker
ist, aller lässiger, verträumter Rucksacktouristen verspricht viel
und hält das meiste. Ich bin immer wieder fasziniert, wenn ich
hinkomme. Auch ich hatte eine Istanbulidee im Kopf und ja – sie
wurde hundertprozentig erfüllt.
Meine Sitznachbarin hatte mich noch auf
ihrer Fahrkarte ein paar Stationen ins Stadtzentrum mitgenommen und
dann fuhr ich noch einmal ein paar Stationen mit einem anderen
wunderbaren Istanbuler mit. Ich bin immer wieder fasziniert, wenn ich
vollkommen uneigennützig Hilfe von wildfremden Menschen erhalte. Und
dann klingelte mein Telefon. Das Fräulein rief an. Sie wollte sich
in einer Stunde in Taksim mit mir treffen. Ich wusste ungefähr, wo
ich hin musste. Gerade war ich in der Nähe vom Bahnhof, und ganz da
in der Nähe war eine Fährstation. Ich musste nur einen Ort finden,
um Geld zu tauschen und mir eine Fahrkarte zu kaufen und ich wäre
schwuppdiwupp in Taksim. Doch im Bahnhof gab es kein Tauschbüro.
Weit und breit war keines zu sehen. Ich setzte mich kurz, blickte
aufs Wasser und überlegte. Vielleicht war es das morgendliche
Glitzern des Bosporuswassers, vielleicht war es der Übermut, am Ziel
der Träume zu sein, ich beschloss jedenfalls, zu laufen. Ich hatte
keine Karte und so lief ich vermutlich einen riesigen Umweg, aber
irgendwann war ich in Taksim und irgendwann fragte ich dann auch noch
jemanden, wo der Burger King war, wo ich mich mit dem Fräulein
treffen wollte. Ich war etwa eine Stunde gelaufen. Ich war
tatsächlich schweißgebadet, nicht nur metaphorisch. Ich war
erschöpft und doch immer noch glücklich, und da, da stand sie.
Jetzt war ich überglücklich. Dass das geklappt hatte, dass sie
tatsächlich vor mir stand, dass wir uns in Cluj getrennt und in
Istanbul wiedergefunden hatten, wobei für mich an einem Punkt in
Varna die Reise fast vorbei gewesen war, all das grenzte an ein
Wunder.
Wir beschlossen, erst einmal einen Tee
zu trinken. Einen türkischen. In irgendeinem Straßencafé, ganz
egal. Hauptsache kurz sitzen. Als uns dann noch die Männer vom
Nebentisch einen halben Simit rüberreichten, war alles perfekt.
Genau das hatte ich mir für meinen ersten Morgen in Istanbul
gewünscht – einen türkischen Tee und einen Simit. Ich konnte mein
Glück kaum fassen.
Mein Geldproblem war damit auch gelöst
und ich war gespannt auf alles, was da kommen mochte.
Die Tage in Istanbul waren traumhaft.
Wir latschten ganz oft durch die Gegend, um die Stadtteile zu
erkunden und entdeckten niedliche Straßen, wo wir am liebsten wohnen
wollten, kleine Parks und kleine Cafés, Streetart und Berlinflair,
was vor allem dem Fräulein, die ja eigentlich ein echt Berliner
Frollein ist, gefiel. Wir fuhren Fähre und ich liebte es – Wind,
Wasser, eine Stadt an beiden Ufern, Spannung und Aufregendes wohin
das Auge blickt. Wir gingen in den Topkapi-Palast, waren aber schnell
genervt von der Hitze und den Unmengen an Touristen, waren nicht
aufnahmefähig genug, verharrten dafür aber ewig auf den diversen
Terrassen um Bilder mit Bosporuspanorama im Hintergrund zu machen.
[Verzeihung, dass ich hier keine einstelle, ihr wisst schon, ich mag
hier alles hübsch anonym gestalten.]
Wir gingen auf den großen Basar, ich
jagte vergebens nach den Flatterhosen, die ich das letzte Mal in
Istanbul erstanden hatte, jetzt waren eben „Haremshosen“ in.
Dafür fand ich die feinen gehämmerten Messingohrhänger wieder und
kaufte für meine Freundinnen gleich ein halbes Dutzend. Wir kauften
noch kleine Keramikschälchen, das war es dann aber auch. Ich machte
am letzten Tag vor meiner Abreise noch ein paar Einkäufe, zum
Beispiel diese winzigen Täschchen im Teppichlook, die gut für
Kleingeld und Perso beim Tanzengehen sind, und ein paar billige
Turnschuhe, die vermutlich kein Original der Marke sind, die drauf
steht.
Ein Highlight des Aufenthalts war ein
Konzert der Takatuka-Band, die mich via Couchsurfing zu ihrem Konzert
eingeladen hatte. Keine schlechte Masche, eine Menge der Anwesenden
beim Konzert schienen Couchsurfer zu sein, aber es lohnte sich
dennoch sehr. Die Location war ein Club in der obersten Etage eines
Hauses in Taksim, mit Blick über Istanbul. Die Band bestand aus
mehreren Leuten, heraus stach aber der unheimlich attraktive Sänger,
der auf der Bühne unentwegt lächelte. So ein schöner Mann, so ein
unglaublich schöner Mann. Wir tanzten sehr viel und tranken Bier,
auch wenn das unglaublich teuer war. Ein paar Wochen später in
Bukarest erfuhr ich von einem in Istanbul lebenden Spanier den Grund:
In der Türkei versuchten konservativ-muslimische Kräfte gerade,
islamische Grundsätze wieder stärker durchzusetzen und wollten
dementsprechend Alkohol am Liebsten verbieten, wie in anderen
islamischen Ländern, wenn dies nicht ging, dann aber wenigstens sehr
teuer machen. Der Abend war großartig, auch der DJ, der auflegte,
als die Band eine Pause machte, hatte eine klasse Playlist, die er
aber auf Anfrage nicht mitteilen wollte.
Das größte Event in Istanbul war aber
wohl der Geburtstag des Fräuleins. Meine Reise nach Istanbul war
auch damit begründet, dass wir diesen zusammen feiern wollten, in
Istanbul. Wir waren von einer Freundin des Fräuleins zu einem
Couchsurfer umgezogen und warteten an dem Abend darauf, dass
irgendwann in der Nacht des Fräuleins Mitbewohnerin aus Berlin
eintreffen würde. Das Fräulein hatte sich ein wenig zur Ruhe
gelegt, ich zog mit dem Gastgeber los und kaufte Kuchen und Kerzen,
um ihr eine Geburtstagsüberraschung zu bereiten. Und so wurde das
Fräulein dann mit Eistorte geweckt, die wir daraufhin in Ermangelung
eines Eisfaches verspeisen mussten. Die Mitbewohnerin kam auch noch
an in dieser Nacht und so lagen wir schließlich zu dritt in der
Wohnküche unseres Gastgebers und pennten ein wenig – am nächsten
Tag wollten wir zur Prinzeninsel aufbrechen.
Die Prinzeninsel für
die Berliner Prinzessinnen, die Geburtstagsprinzessin und die
Prinzesinnnenmitbewohner- und -besucherin. Außerdem noch mit am
Start, die Prinzessinnenfreundin, bei der wir die ersten Nächte
geschlafen hatten. Perfekt. Die Insel war ein Blütenmeer. Wir
versuchten vergeblich, ein Kloster zu finden, das war dann aber auch
nicht schlimm, denn so saßen wir einfach irgendwo unter Kiefern und
schlürften Tee. Wir hatten an der Straße Obst gekauft und
verdrückten dieses. Wir redeten, über Emanzipation, Diskurse und
diskursgeschädigte Personen – für mich war es der vielleicht
intellektuell ansprechendste Punkt der Reise. Ok, ok, die Gespräche
mit meinem Varnaer Host gingen zum Teil auch über meinen Tellerrand
heraus und auch mein Belgrader Host gibt mir durchaus immer
Denkanstöße gibt, wenn ich bei ihm bin, aber dennoch, fand ich das
Gespräch sehr anregend.
Wir wollten abends zum Geburtstag
feiern dann noch mal zur Takatukaband und es war eine ziemliche
Enttäuschung. Die Musik war gut, die Stimmung war nicht vorhanden,
die Anwesenden waren ein paar vereinzelte Couchsurfer und die Party
ging ein Stockwerk tiefer im Erasmus-Club. Dahin gingen wir dann auch
nach ein paar Liedern, als alle, besonders unser Gastgeber und sein
Mitbewohner drohten einzuschlafen. Wir tanzten zu den besten
Erasmus-Hits aller Zeiten (also der gleichen Musik, die auf
Erasmus-Feten in Cluj, Madrid, Stockholm oder Krakau auch laufen
würde) und es war wohl schon spät, als wir nach Hause gingen.
An meinem letzten Istanbultag
frühstückten wir dann nachmittags um zwei in einem Terrassencafé
im vierten Stock. Ich blickte auf die Aya Sofya, die Berlinerinnen
auf die Blaue Moschee und so war jeder hochzufrieden. Zudem gab es
ein sehr gutes Frühstück incl. kostenlosem Tee zu einem annehmbaren
Preis. Das Fräulein und ihr Besuch brachen zur Blauen Moschee auf,
ein Traum, den sie für diese Reise gemeinsam hatten, ich schlug mich
noch einmal zum Basar durch, um letzte Einkäufe zu erledigen und ein
letztes Mal in dem Gewirr der Gassen verloren zu gehen. Wir trafen
uns wieder, holten meine Sachen und ich stieg in den Bus Richtung
Sofia. Die Reise nach Belgrad war nicht so einfach und geradlinig,
wie es mir bahn.de anzeigte, aber das ist schon wieder die nächste
Geschichte.
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