Donnerstag, 14. Juni 2012

Cineastische Tage in Cluj – das TIFF 2012


Das Transilvanian International Film Festival (kurz TIFF) in Cluj ging dieses Jahr in die 11. Runde. Inzwischen ist es wohl eines der wichtigsten Filmfestivals Rumäniens. Mit 400 Vorführungen, nicht nur in Kinos, sondern zum Beispiel auch einer Großleinwand auf dem Piata Unirii und Vorstellungen im französischen Kulturzentrum, 67.000 Besuchern, 493 Freiwilligen wird Cluj über eine Woche zur Kino-Hauptstadt Rumäniens, wenn nicht sogar des ganzen südosteuropäischen Raums. Durch die Stadt laufen eine Menge Menschen in roten T-Shirts – die Freiwilligen – und mit Festivalausweisen um den Hals – ich nehme an, Leute von der Presse und solche mit Festivalpässen. Die Stadt ist noch quirliger als sonst und an schönen Abenden stehen viele am Piata Unirii und schauen sich den Film an, ohne Eintritt für einen Sitzplatz zu zahlen.

Ich habe insgesamt sechs Filme gesehen, was wohl kein schlechter Durchschnitt ist, bedenkt man, dass ich leider nicht bis zum Ende des Festivals in der Stadt war. 


Die extrem tragische Geschichte von Celal Tan und seiner Familie (Türkei, 2011)


Wie der Titel schon verrät, handelt die Geschichte hauptsächlich von Celal Tan, einem Juraprofessor mittleren Alters, der mit einer jungen schönen Kunststudentin verheiratet ist. Diese bereitet gemeinsam mit seinen bereits erwachsenen Kindern aus erster Ehe eine Überraschungsfeier zum Geburtstag vor. Als Celal nach Hause kommt, erschlägt er seine junge Frau aus Eifersucht und ahnt nicht, dass die Familie im Dunkeln des Wohnzimmers mit dem Festessen auf ihn wartet und alles mitbekommt. Er geht zunächst wieder und die Familie gibt sich alle Mühe, zu verheimlichen, dass sie etwas gesehen hat, er wiederum gibt den Mord auch nicht zu. Als auch noch der blinde Bruder der Toten auftaucht, beginnt eine abenteuerliche Suche nach dem Mörder, den eigentlich alle außer der Polizei kennen.
Ein ziemlich skurriler Film mit seltsamen Humor, dennoch unterhaltsam. Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch das eine oder andere Fünkchen Kritik an der modernen – vielleicht etwas scheinheiligen – türkischen Gesellschaft darin steckt, kenne mich aber leider zu wenig aus.

The Bengali Detective (USA, Großbritannien, Indien, 2011)


Da die Polizei in Kalkutta oftmals nicht oder nur stümperhaft ermittelt, brummt Rajeshs Geschäft mit seiner Detektei. Er übernimmt von klassischen Privatdetektivjobs wie untreue Ehemänner beschatten, bis zu Produktpiraterei alles. Im Film werden exemplarisch mehrere Fälle verfolgt, die auch einen Einblick in die Situation in Indien geben. Eine Ehefrau, die auch Opfer häuslicher Gewalt ist, versucht herauszufinden, ob ihr Mann sie betrügt. Eine Kosmetikfirma gibt den Auftrag Personen zu verfolgen, die gefälschte Shampoos verkaufen. Eine Familie ist an der Aufklärung des Mordes ihres Sohnes und seiner Freunde interessiert. Neben abenteuerlichen Fahrten durch Kalkutta, in Lagerhäuser, zu den Familien und ins Gefängnis, verfolgt der Film die Hauptperson auch in sein Privatleben – als Vater eines kleinen Sohnes und Ehemann einer schwerkranken Frau und als passionierter Tänzer, der mit seinen Arbeitskollegen nach Feierabend gern zu Bollywoodklängen die Hüfte schwingt.
Der Film ist herzerwärmend. Er ist stellenweise sehr traurig, stellenweise nachdenklich, stellenweise zum Lachen und an anderen Stellen einfach nur von einer durchdringenden Fröhlichkeit. Es werden so viele Facetten eines einzigen Lebens gezeigt, wie dies im Kino heute nur noch selten passiert. Die Dokumentation lebt davon, dass die Kamera nah dran ist an der Hauptperson, jedoch hat man nicht das Gefühl, dass versucht wird, etwas extra dramatisch oder extra spannend darzustellen. Da geht schon mal gleich zu Anfang ein Polizeieinsatz schief und am Ende wendet sich auch nicht alles zum Guten. Ein ehrlicher Film.


Parada (Serbien, Deutschland, Ungarn, Slowenien, Kroatien, 2011)


Eine Gruppe Schwulesbi-Aktivisten trifft auf einen serbischen Macho und Inhaber einer Sicherheitsfirma (oder auch eines Schlägertrupps, das ist wohl Auslegungssache) und seine blondierte Freundin Pearl. Das ganze beginnt mit dem Plan, in Belgrad eine Pride zu veranstalten, einem angeschossenen Kampfhund und rosaroten Hochzeitsplänen. Bevor allerdings die erste Pride Serbiens stattfindet, kommen berechnende Polizisten und jugendliche Schlägertrupps, ein pinker Jugo, alte Kampfgefährten von den verschiedenen Seiten der jugoslawischen Kriege und eine Menge anderer (ex-)jugoslawischer Absurditäten ins Spiel.
Ein großartiger Film! Meine absolute und uneingeschränkte Empfehlung, sich ihn anzuschauen. Ich denke, der Regisseur hat tatsächlich etwas Großes geleistet, in dem er in einem Land, wo Homosexualität immer noch stark stigmatisiert ist, einen Film dreht, der alles auf den Kopf stellt. Es mit Humor nimmt, aber trotzdem eine Message hat. Großes Kino!


Die Puppe (Deutschland, 1919)


Ein alter deutscher Stummfilm erzählt uns die Geschichte des jungen Lancelot, der Neffe eines alten Königs, der endlich heiraten soll. Lancelot ist verschreckt von den Frauen und fürchtet den Gedanken an eine bevorstehende Hochzeit. Er flieht in ein Kloster und schmiedet dort mit den Mönchen den Plan, eine lebensechte Puppe zu kaufen und diese nur zum Schein zu heiraten, um die Mitgift einzustreichen, der Verpflichtung zu entgehen und ein ruhiges Leben führen zu können. In der Puppenmanufaktur wird derweil die vom Lehrling beschädigte Puppe gegen ihr Vorbild, die Tochter des Puppenmachers getauscht. Weder der Vater noch der Prinz wissen von dem Tausch und das Puppenspiel beginnt...


Ich habe den Film mit der musikalischen Begleitung des Struggle-Orchesters gesehen. Der Film an sich war bereits sehr gut, aber die musikalische Untermalung sorgte dafür, dass die Vorstellung zu einem einmaligen Erlebnis wurde. Am Filmmaterial fand ich besonders die Spezialeffekte interessant, die für die Technik der Zeit recht ausgefeilt waren. Einmal erschien Lancelot sein Puppenmädchen im Traum, einmal flog einer der Darsteller durch die Wolken – heute kein Problem, aber damals hatte man ja keinerlei digitale Technik, um Spezialeffekte zu erreichen.


The best Exotic Marigold Hotel (Großbritannien, 2011)


Eine Gruppe britischer Rentner will, die meisten davon aus finanziellen Gründen, ihren Ruhestand im „Best Exotic Marigold Hotel“ in Indien verbringen. Die ganz unterschiedlichen Charaktere kommen mehr oder weniger gut in der ungewohnten Umgebung klar – sie passen sich an, suchen sich neue Herausforderungen oder haben zum Teil auch erhebliche Schwierigkeiten mit der unbekannten Kultur. Das Hotel an sich wird von einem jungen Inder geführt, der verzweifelt versucht, das Erbe von seinem Vater wieder in neuem Glanz auferstehen zu lassen. Er kämpft mit potenziellen Geldgebern und schließlich auch gegen seine Mutter, die das Hotel schließen und verkaufen möchte und seine moderne, aufgeschlossene Freundin nicht akzeptiert.


Ein turbulenter, bunter, Gute-Laune-Film, der sicher viele Klischees über Indien bedient und vielleicht nicht zu den reflektiertesten Darstellungen des Landes zählt. Dennoch würde ich ihn empfehlen, weil es trotzdem nicht einfach nur um eine lustige Bollywoodgeschichte geht, sondern auch viel um Vorurteile, Umgang mit alten Menschen in westlichen Gesellschaften und um Lebensträume, die man sich erfüllen sollte. Ich mag zudem Filme sehr, die nach dem Abspann ein Lächeln auf dem Gesicht des Zuschauers im Kinosessel zurücklassen.


Iron Sky (Finnland, Deutschland, Österreich, 2012)


Die dunkle Seite des Mondes ist seit dem Zweiten Weltkrieg von einer Kolonie deutscher Nazis bevölkert. Als die amerikanische Regierung einen Astronauten auf den Mond schickt, macht dieser unfreiwillig Bekanntschaft mit den Nazis und wird gefangen genommen. Der machthungrige Adler sieht seine Chance, über ihn Kontakt zur amerikanischen Regierung herzustellen, schließlich die Welt zu erobern und der neue Führer zu werden.


Die Story ist absurd, es sind einige logische Fehler enthalten und der Film strotzt nur so von Spezialeffekten. Ich habe vorher nur eine vierzeilige Einführung gelesen und hatte also nur eine vage Vorstellung, um was es gehen würde. Ich wäre vielleicht, hätte ich die Story gekannt, gar nicht erst in den Film gegangen. Ich hätte jedenfalls nicht erwartet, dass mir der Film tatsächlich gefällt. Aber das tat er. Es waren eine Menge Anspielungen und Referenzen enthalten – offensichtliche, wie auf „Der große Dikator“, weniger offensichtliche, wie auf „Der Untergang“ und sicher noch sehr viele, die ich gar nicht erst mitbekommen habe. Der Film sparte auch nicht mit Verweisen auf die amerikanische Politik, mit der ich leider zu wenig vertraut bin, um alles zu verstehen. Meines Erachtens ein ziemlich intelligenter Film und durchaus sehenswert.



Mein persönlicher Abschluss des Filmfestivals war das Konzert von Laibach im alten, heute leer stehenden Hotel Continental. Die Karten gab es wahlweise in Kombination mit der Filmvorführung von Iron Sky, zu dem Laibach auch den Soundtrack geliefert haben, und so habe ich das Kombipaket genommen. Ich erwartete mir auch vom Konzert nicht viel, aber die Karte war nicht teuer und ich wollte den Abend vor meinem Abflug nach Deutschland noch etwas mit den anderen Erasmus-Studenten unternehmen. Ich war dann sehr positiv überrascht. Das Konzert war gut und der Veranstaltungsort einmalig. Laibach sind eine slowenische Band, deren Stil meines Erachtens etwas schwer zu beschreiben ist. Auf Wikipedia steht, sie wären Rammstein für Erwachsene, was es ein wenig trifft. Allerdings gibt es die Gruppe schon viel länger als Rammstein und sie diente der deutschen Band auch als musikalisches Vorbild. Insgesamt ist die Musik meines Erachtens – ohne Rammstein gut zu kennen – melodischer und vielseitiger. Ich hatte mir vorher Youtube-Videos angeschaut und einen wesentlich härteren Musikstil erwartet. Tatsächlich gab es aber sogar ein paar balladenhafte Lieder der sexy Sängerin. Auch für das Auge wurde also etwas geboten. Dabei war natürlich das Ambiente des alten Hotels interessanter als die Frontfrau in Uniform. Ein rundum gelungener Abend.


Nachts um zwei war das Konzert etwa zu Ende, wir gingen dann noch etwas trinken und ich ging etwa um drei zurück ins Wohnheim, von wo aus ich um vier Richtung Flughafen aufbrechen wollte. Um sechs Uhr morgens ging mein Flieger nach Deutschland und ich hatte ohnehin nicht vorgehabt, zu schlafen.
Es ist schade, dass ich nicht mehr vom Filmfestival mitbekommen habe, aber man soll ja immer aufhören, wenn es am schönsten ist. Der letzte Abend war sicher ein einmaliges Erlebnis und bildete somit einen geeigneten Abschluss.

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