Das Transilvanian International Film
Festival (kurz TIFF) in Cluj ging dieses Jahr in die 11. Runde.
Inzwischen ist es wohl eines der wichtigsten Filmfestivals Rumäniens.
Mit 400 Vorführungen, nicht nur in Kinos, sondern zum Beispiel
auch einer Großleinwand auf dem Piata Unirii und Vorstellungen im
französischen Kulturzentrum, 67.000 Besuchern, 493 Freiwilligen wird Cluj
über eine Woche zur Kino-Hauptstadt Rumäniens, wenn nicht sogar des
ganzen südosteuropäischen Raums. Durch die Stadt laufen eine Menge
Menschen in roten T-Shirts – die Freiwilligen – und mit
Festivalausweisen um den Hals – ich nehme an, Leute von der Presse
und solche mit Festivalpässen. Die Stadt ist noch quirliger als
sonst und an schönen Abenden stehen viele am Piata Unirii und
schauen sich den Film an, ohne Eintritt für einen Sitzplatz zu
zahlen.
Ich habe insgesamt sechs Filme gesehen, was wohl kein schlechter Durchschnitt ist, bedenkt man, dass ich leider nicht bis zum Ende des Festivals in der Stadt war.
Die extrem tragische Geschichte von Celal Tan und seiner Familie (Türkei, 2011)
Wie der Titel schon verrät, handelt
die Geschichte hauptsächlich von Celal Tan, einem Juraprofessor
mittleren Alters, der mit einer jungen schönen Kunststudentin
verheiratet ist. Diese bereitet gemeinsam mit seinen bereits
erwachsenen Kindern aus erster Ehe eine Überraschungsfeier zum
Geburtstag vor. Als Celal nach Hause kommt, erschlägt er seine junge
Frau aus Eifersucht und ahnt nicht, dass die Familie im Dunkeln des
Wohnzimmers mit dem Festessen auf ihn wartet und alles mitbekommt. Er
geht zunächst wieder und die Familie gibt sich alle Mühe, zu
verheimlichen, dass sie etwas gesehen hat, er wiederum gibt den Mord
auch nicht zu. Als auch noch der blinde Bruder der Toten auftaucht,
beginnt eine abenteuerliche Suche nach dem Mörder, den eigentlich
alle außer der Polizei kennen.
Ein ziemlich skurriler Film mit
seltsamen Humor, dennoch unterhaltsam. Ich bin mir ziemlich sicher,
dass auch das eine oder andere Fünkchen Kritik an der modernen –
vielleicht etwas scheinheiligen – türkischen Gesellschaft darin
steckt, kenne mich aber leider zu wenig aus.
The Bengali Detective (USA, Großbritannien, Indien, 2011)
Da die Polizei in Kalkutta oftmals
nicht oder nur stümperhaft ermittelt, brummt Rajeshs Geschäft mit
seiner Detektei. Er übernimmt von klassischen Privatdetektivjobs wie
untreue Ehemänner beschatten, bis zu Produktpiraterei alles. Im Film
werden exemplarisch mehrere Fälle verfolgt, die auch einen Einblick
in die Situation in Indien geben. Eine Ehefrau, die auch Opfer
häuslicher Gewalt ist, versucht herauszufinden, ob ihr Mann sie
betrügt. Eine Kosmetikfirma gibt den Auftrag Personen zu verfolgen,
die gefälschte Shampoos verkaufen. Eine Familie ist an der
Aufklärung des Mordes ihres Sohnes und seiner Freunde interessiert.
Neben abenteuerlichen Fahrten durch Kalkutta, in Lagerhäuser, zu den
Familien und ins Gefängnis, verfolgt der Film die Hauptperson auch
in sein Privatleben – als Vater eines kleinen Sohnes und Ehemann
einer schwerkranken Frau und als passionierter Tänzer, der mit
seinen Arbeitskollegen nach Feierabend gern zu Bollywoodklängen die
Hüfte schwingt.
Der Film ist herzerwärmend. Er ist
stellenweise sehr traurig, stellenweise nachdenklich, stellenweise
zum Lachen und an anderen Stellen einfach nur von einer
durchdringenden Fröhlichkeit. Es werden so viele Facetten eines
einzigen Lebens gezeigt, wie dies im Kino heute nur noch selten
passiert. Die Dokumentation lebt davon, dass die Kamera nah dran ist
an der Hauptperson, jedoch hat man nicht das Gefühl, dass versucht
wird, etwas extra dramatisch oder extra spannend darzustellen. Da
geht schon mal gleich zu Anfang ein Polizeieinsatz schief und am Ende
wendet sich auch nicht alles zum Guten. Ein ehrlicher Film.
Parada (Serbien, Deutschland, Ungarn, Slowenien, Kroatien, 2011)
Eine Gruppe Schwulesbi-Aktivisten
trifft auf einen serbischen Macho und Inhaber einer Sicherheitsfirma
(oder auch eines Schlägertrupps, das ist wohl Auslegungssache) und
seine blondierte Freundin Pearl. Das ganze beginnt mit dem Plan, in
Belgrad eine Pride zu veranstalten, einem angeschossenen Kampfhund
und rosaroten Hochzeitsplänen. Bevor allerdings die erste Pride
Serbiens stattfindet, kommen berechnende Polizisten und jugendliche
Schlägertrupps, ein pinker Jugo, alte Kampfgefährten von den
verschiedenen Seiten der jugoslawischen Kriege und eine Menge anderer
(ex-)jugoslawischer Absurditäten ins Spiel.
Ein großartiger Film! Meine absolute
und uneingeschränkte Empfehlung, sich ihn anzuschauen. Ich denke,
der Regisseur hat tatsächlich etwas Großes geleistet, in dem er in
einem Land, wo Homosexualität immer noch stark stigmatisiert ist,
einen Film dreht, der alles auf den Kopf stellt. Es mit Humor nimmt,
aber trotzdem eine Message hat. Großes Kino!
Die Puppe (Deutschland, 1919)
Ein alter deutscher Stummfilm erzählt
uns die Geschichte des jungen Lancelot, der Neffe eines alten Königs,
der endlich heiraten soll. Lancelot ist verschreckt von den Frauen
und fürchtet den Gedanken an eine bevorstehende Hochzeit. Er flieht
in ein Kloster und schmiedet dort mit den Mönchen den Plan, eine
lebensechte Puppe zu kaufen und diese nur zum Schein zu heiraten, um
die Mitgift einzustreichen, der Verpflichtung zu entgehen und ein
ruhiges Leben führen zu können. In der Puppenmanufaktur wird
derweil die vom Lehrling beschädigte Puppe gegen ihr Vorbild, die
Tochter des Puppenmachers getauscht. Weder der Vater noch der Prinz
wissen von dem Tausch und das Puppenspiel beginnt...
Ich habe den Film mit der musikalischen
Begleitung des Struggle-Orchesters gesehen. Der Film an sich war
bereits sehr gut, aber die musikalische Untermalung sorgte dafür,
dass die Vorstellung zu einem einmaligen Erlebnis wurde. Am
Filmmaterial fand ich besonders die Spezialeffekte interessant, die
für die Technik der Zeit recht ausgefeilt waren. Einmal erschien
Lancelot sein Puppenmädchen im Traum, einmal flog einer der
Darsteller durch die Wolken – heute kein Problem, aber damals hatte
man ja keinerlei digitale Technik, um Spezialeffekte zu erreichen.
The best Exotic Marigold Hotel (Großbritannien, 2011)
Eine Gruppe britischer Rentner will,
die meisten davon aus finanziellen Gründen, ihren Ruhestand im „Best
Exotic Marigold Hotel“ in Indien verbringen. Die ganz
unterschiedlichen Charaktere kommen mehr oder weniger gut in der
ungewohnten Umgebung klar – sie passen sich an, suchen sich neue
Herausforderungen oder haben zum Teil auch erhebliche Schwierigkeiten
mit der unbekannten Kultur. Das Hotel an sich wird von einem jungen
Inder geführt, der verzweifelt versucht, das Erbe von seinem Vater
wieder in neuem Glanz auferstehen zu lassen. Er kämpft mit
potenziellen Geldgebern und schließlich auch gegen seine Mutter, die
das Hotel schließen und verkaufen möchte und seine moderne,
aufgeschlossene Freundin nicht akzeptiert.
Ein turbulenter, bunter,
Gute-Laune-Film, der sicher viele Klischees über Indien bedient und
vielleicht nicht zu den reflektiertesten Darstellungen des Landes
zählt. Dennoch würde ich ihn empfehlen, weil es trotzdem nicht
einfach nur um eine lustige Bollywoodgeschichte geht, sondern auch
viel um Vorurteile, Umgang mit alten Menschen in westlichen
Gesellschaften und um Lebensträume, die man sich erfüllen sollte.
Ich mag zudem Filme sehr, die nach dem Abspann ein Lächeln auf dem
Gesicht des Zuschauers im Kinosessel zurücklassen.
Iron Sky (Finnland, Deutschland, Österreich, 2012)
Die dunkle Seite des Mondes ist seit
dem Zweiten Weltkrieg von einer Kolonie deutscher Nazis bevölkert.
Als die amerikanische Regierung einen Astronauten auf den Mond
schickt, macht dieser unfreiwillig Bekanntschaft mit den Nazis und
wird gefangen genommen. Der machthungrige Adler sieht seine Chance,
über ihn Kontakt zur amerikanischen Regierung herzustellen,
schließlich die Welt zu erobern und der neue Führer zu werden.
Die Story ist absurd, es sind einige
logische Fehler enthalten und der Film strotzt nur so von
Spezialeffekten. Ich habe vorher nur eine vierzeilige Einführung
gelesen und hatte also nur eine vage Vorstellung, um was es gehen
würde. Ich wäre vielleicht, hätte ich die Story gekannt, gar nicht
erst in den Film gegangen. Ich hätte jedenfalls nicht erwartet, dass
mir der Film tatsächlich gefällt. Aber das tat er. Es waren eine
Menge Anspielungen und Referenzen enthalten – offensichtliche, wie
auf „Der große Dikator“, weniger offensichtliche, wie auf „Der
Untergang“ und sicher noch sehr viele, die ich gar nicht erst
mitbekommen habe. Der Film sparte auch nicht mit Verweisen auf die
amerikanische Politik, mit der ich leider zu wenig vertraut bin, um
alles zu verstehen. Meines Erachtens ein ziemlich intelligenter Film
und durchaus sehenswert.
Mein persönlicher Abschluss des
Filmfestivals war das Konzert von Laibach im alten, heute leer
stehenden Hotel Continental. Die Karten gab es wahlweise in
Kombination mit der Filmvorführung von Iron Sky, zu dem Laibach auch
den Soundtrack geliefert haben, und so habe ich das Kombipaket
genommen. Ich erwartete mir auch vom Konzert nicht viel, aber die
Karte war nicht teuer und ich wollte den Abend vor meinem Abflug nach
Deutschland noch etwas mit den anderen Erasmus-Studenten unternehmen.
Ich war dann sehr positiv überrascht. Das Konzert war gut und der
Veranstaltungsort einmalig. Laibach sind eine slowenische Band, deren
Stil meines Erachtens etwas schwer zu beschreiben ist. Auf Wikipedia
steht, sie wären Rammstein für Erwachsene, was es ein wenig trifft.
Allerdings gibt es die Gruppe schon viel länger als Rammstein und
sie diente der deutschen Band auch als musikalisches Vorbild.
Insgesamt ist die Musik meines Erachtens – ohne Rammstein gut zu
kennen – melodischer und vielseitiger. Ich hatte mir vorher
Youtube-Videos angeschaut und einen wesentlich härteren Musikstil
erwartet. Tatsächlich gab es aber sogar ein paar balladenhafte
Lieder der sexy Sängerin. Auch für das Auge wurde also etwas
geboten. Dabei war natürlich das Ambiente des alten Hotels
interessanter als die Frontfrau in Uniform. Ein rundum gelungener
Abend.
Nachts um zwei war das Konzert etwa zu
Ende, wir gingen dann noch etwas trinken und ich ging etwa um drei
zurück ins Wohnheim, von wo aus ich um vier Richtung Flughafen
aufbrechen wollte. Um sechs Uhr morgens ging mein Flieger nach
Deutschland und ich hatte ohnehin nicht vorgehabt, zu schlafen.
Es ist schade, dass ich nicht mehr vom
Filmfestival mitbekommen habe, aber man soll ja immer aufhören, wenn
es am schönsten ist. Der letzte Abend war sicher ein einmaliges
Erlebnis und bildete somit einen geeigneten Abschluss.
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