Montag, 19. März 2012

Bukarest an einem Wochenende

Mit vier anderen Erasmus-Studenten machte ich mich Donnerstagabend mit dem Nachtzug auf dem Weg nach Bukarest. Ich war schon vorher einige Male kurz in der Stadt und konnte ihr nie viel abgewinnen. Groß, laut, dreckig - das war mein Eindruck. Aber ich wollte ohnehin ins Securitate-Archiv um für meine Masterarbeit zu recherchiern und ein paar andere wollten auf ein Konzert und so entschloss ich mich, einfach mitzufahren. Ich musste meine vorherigen Eindrücke ein wenig korrigieren. Ob es an dem wunderschönen Sonnenschein lag oder daran, dass wir uns überhaupt keinen Stress machten - die Stadt hat definitiv nette Ecken.
Wir fuhren am Donnerstagabend mit dem Nachtzug los, nachdem zwei Mitreisende noch Massen an Broten geschmiert hatten und ein anderer uns ein superleckeres Abendessen gekocht hatte. Kurz vor elf stiegen wir in den Zug, zwei ins normale 2.-Klasse-Abteil, die anderen drei, darunter ich, in den Liegewagen-Bereich. Der Zug war sehr voll und ein Bordbistro gab es nicht. So saßen wir dann noch eine ganze Weile auf dem Gang und haben uns über alles mögliche unterhalten, bevor wir in unsere Kojen krochen. Als Bezüge für die Decken, Kissen und Liegen hatten wir eine Art dünne Papierlaken bekommen, die sich so ähnlich anfühlten, wie OP-Hemden. Vielleicht lag es daran, dass ich erstmal eine ganze Weile wach lag, schließlich aber doch noch ein paar Stunden schlief. Am Morgen folgte eine Katzenwäsche, ich versuchte, mich so gut es eben ging herzurichten, denn ich wollte gleich am Freitagmorgen dem Archiv einen Besuch abstatten.
Eine der Mitfahrerinnen hatte über ihre Familie und Bekannte eine Wohnung organisieren können, die sich in einer super Lage, direkt am Bulevardul Unirii, welches zum Parlamentspalast führt, befand. Wir fuhren mit einem überteuerten Taxi hin, weil wir ironischerweise den billigeren als potenziell zwielichtig misstrauten. Am Piata Alba Iulia sollten wir jemanden treffen, der uns zur Wohnung brachte. Irgendwie wusste ich das nicht so richtig und als uns jemand ansprach, wies ich ihn deshalb sehr barsch zurück, wir bräuchten keine Unterkunft. Mein natürliches Misstrauen führt vielleicht in Stresssituationen zu Überreaktionen, vielleicht wurde mir auch schon oft genug von Rumänen eingeredet, keinem ihrer Landsleute zu trauen -  ich war wirklich sehr schroff, was mir später extrem leid tat. Jedenfalls war der junge Mann natürlich derjenige, der uns abholen sollte und ich wäre gern im Boden versunken, als das herauskam.Wir gingen also erstmal zur Wohnung und wurden vom Wohnungsbesitzer sehr nett in Empfang genommen. Nach dem Kennenlernen machte ich mich gleich auf dem Weg zum Archiv. Ich hatte natürlich recherchiert, was man alles braucht, um als Forscher zugelassen zu werden, aber eine Freundin hatte mir empfohlen, nicht den offiziellen Weg zu gehen. Über Email hatte ich zwar auch nicht viel erreicht, ich dachte aber, es wäre dennoch das Beste, wenn ich einfach mal persönlich hinginge. Leider kam ich aber nur bis zu den Pförtner, die aber sehr nett zu mir waren. Sie riefen jemanden im Haus an, ich nehme an, von der Stelle, die die Erlaubnis zum Recherchieren ausstellt und ich musste erstmal kurz der Dame auf Rumänisch erklären, was ich vorhatte. Am Telefon wohlgemerkt. Ich schlug mich ganz gut, glaube ich, aber ohne eine Empfehlung geht es halt doch nicht und so drehte ich unverrichteter Dinge wieder um. Das war nicht so schlimm, weil ja am nächsten Tag noch das Konzert anstand und ich ein verlängertes Wochenende in Bukarest auch nicht für Zeitverschwendung hielt.
Nachdem wir ein wenig gefrühstückt und uns frisch gemacht hatten, gingen wir, gemeinsam mit dem jungen Mann vom Anfang, zum Markt. Er war sehr hilfsbereit, nur übertrieb er das leider ein wenig. Wir fühlten uns schnell ein wenig bevormundet und eingeschränkt und versuchten ihn, loszuwerden. Die Markthalle war sehr beeindruckend, von lebenden Fischen über sämtliches Obst und Gemüse bis zu Plastikwannen konnte man alles kaufen. Den Trödelmarkt fanden wir nicht, das war aber nicht so schlimm. Das Wetter war den ganzen Tag wunderbar und so spazierten wir, nach einer Straßenbahnfahrt zurück ins Zentrum, noch ein wenig durch die Innenstadt.




Schließlich machten wir uns auf den Weg in den Cismigiu-Park, kauften uns ein paar Donuts (Gogosi) und tranken einen Kaffee im schicken Restaurant am See, der allerdings im Winter leer war. Auch wenn herrlicher Sonnenschein war die ganze Zeit, lässt der Frühling leider noch auf sich warten und sehr grün war es im Park somit noch nicht. Nach dem Park wollten wir noch in den Supermarkt und uns etwas zum Abendessen kochen, danach saßen wir noch bei Bier zusammen und quatschen. Es wurde ziemlich spät und nur zwei von uns hatten noch genug Energie, auszugehen, was sie dann auch in die Tat umsetzten. Wir anderen gingen ins Bett. Es gab zwei breite Betten und eine Matratze, so dass wir zu fünft genügend Platz hatten, uns auszubreiten.


Am nächsten Morgen starteten wir mit einem großartigen und reichhaltigen Frühstück in den Tag, ehe wir gegen halb eins zum Parlament aufbrachen. Wir brauchten eine Weile, um hinzulaufen und bekamen dann gesagt, die nächste Tour auf Englisch würde um zwei stattfinden. Eine von uns (und ich war es ausnahmsweise nicht) hatte keinen Pass dabei und somit musste sie noch einmal umdrehen, um diesen zu holen. Sie meinte, aber, sollte sie es nicht schaffen, sollten wir allein reingehen. Wir anderen gingen noch in den Park direkt vor dem Parlament und wollten einfach ein bisschen in der Sonne sitzen. Da sprach uns jedoch ein älterer Herr an und fragte, woher wir kämen. In fließendem Deutsch unterhielt er sich schließlich mit uns. Er war sehr gebildet und erzählte uns, welche deutschen Autoren er schon alle gelesen hatte. Auch über die rumänische Geschichte, insbesondere die Revolution, äußerte er sich. Wie viele Rumänen, vertrat auch er die Meinung, dass die Revolution von der alten kommunistischen Elite "gestohlen" worden wäre und keine wirkliche Transistion stattgefunden hätte. Er bat uns noch um ein wenig Geld, empfahl uns ein paar Museen und Orte und verabschiedete sich mit guten Wünschen. Ich finde es immer wieder schön, Rumänen zu treffen, die so bereitwillig von sich erzählen. Es gibt einen ganz anderen Einblick in das Land, wenn man sich mit den Einheimischen unterhält. Wir machten uns schließlich auf den Weg ins Parlament, wo wir fünf vor zwei feststellten, dass die Tour schon begonnen hatte. Die Dame am Infoschalter, die auch jetzt auf einmal keinen Eintritt mehr von uns verlangte, weil wir ja rumänische Studenten seien, brachte uns jedoch noch zur Tour, so dass wir nur den Anfang verpassten. Ich war letztes Jahr schon einmal im "Palast des Volkes", es ist jedoch immer wieder beeindruckend, auch wenn das erste Mal natürlich überwältigender ist. Ich war zudem erste Mal auf der Dachterasse, von wo aus man einen beeindruckenden Blick über die Stadt hat. Die riesigen Treppen, der Marmor, die Seidentapeten, die Teppiche und Säle - ich kann mir vorstellen, dass man noch im 19. Jahrhundert so größenwahnsinnig gebaut hat, aber das dieses Prunkprojekt vor 30 Jahren begonnen wurde, verblüfft total.


Nach dem Besuch im Palast wollten wir ein Café suchen und streiften durch recht nette Viertel, ehe wir eine Pizzeria mit Freisitz fanden und uns in der warmen Sonne niederließen. Danach gingen wir noch auf die Suche nach Nahrung, was sich bei fünf Leuten und unterschiedlichen Interessen als sehr schwierig herausstellte. Wir liefen eine ganze Weile und irgendwann ließen wir uns endlich in einem traditionellen rumänischen Restaurant im Freisitz nieder. Am Nebentisch wurde ein Geburtstag gefeiert und drei Musiker spielten für die Gäste. So kamen wir noch zusätzlich in den Genuss von rumänischer Volksmusik. Nach diesem kleinen Konzert war vor dem großen Konzert am Abend. Zwei Freiwillige machten sich heldenhaft noch auf den Weg zum Supermarkt, um Bier und Wein und Frühstück für den nächsten Tag zu kaufen. Wir tranken noch ein wenig und machten uns dann mit dem Taxi auf dem Weg zur Turbohalle, die an diesem Abend eröffnet werden sollte. Vorher mussten wir jedoch noch per Telefonjoker - wir riefen die daheimgebliebenen Mitbewohner an - herausfinden, wo diese eigentlich war und wann unser Zug am nächsten Morgen gehen würde.
Nachdem wir ankamen, sahen wir schon Massen an Menschen zur Halle strömen. Auf dem Zufahrtsweg, der vielleicht 300m lang war, standen etwa 2000 Menschen eng an eng gequetscht.Wir waren kurz nach elf da und um zwölf wurde die Lage sehr ungemütlich, weil immer mehr Leute von hinten quetschten. Die Leute fingen auch an zu johlen und zu pfeifen und die Stimmung wurde zum Teil ein wenig aggressiv, kippte aber zum Glück nicht komplett. Wenn es zu einer Panik oder einem Krawall gekommen wäre, hätte es sehr viele Verletzte und vermutlich sogar Tote gegeben. Schließlich ließen sie aber endlich Leute herein, durch eine Öffnung im Zaun so breit wie ein Gartentor, einer nach dem anderen. Wir freuten uns, wieder atmen zu können. Drinnen angekommen, die nächste Überraschung - der Boden im Eingangsbereich stand unter Wasser. Etwa 2-5cm war es tief und wir wateten vorsichtig, mit hochgezogenen Hosenbeinen durch. Nach dem langen Warten in der Kälte, wollte ich gern auf die Toilette, welche im oberen Stockwerk lag. Die erste Überraschung - die Spülung funktionierte nicht. Gut, vielleicht ja nur bei dieser einen Toilette, vielleicht war ja etwas defekt. Aber an den Waschbecken kam auch kein Wasser. Das Wasser war offensichtlich einfach noch nicht angestellt. Ich traf die anderen dann an der Garderobe wieder, wo sie seit einer Weile versuchten, mit ihren Jacken zu wedeln und diese gegen Garderobenkärtchen zu tauschen. Der Gardobier in unserer Nähe wollte aber keine annehmen und es wurde das Gerücht laut, es gäbe einfach keinen Platz und keine Garderobenkärtchen mehr. Wir harrten aus und wurden schließlich endlich alles los - auf zur Tanzfläche. Vorher standen wir jedoch noch an der Bar auch noch mindestens eine halbe Stunde. Das war nicht so schlimm, der DJ vor dem Hauptact - Charly Boy, hieß er - war nicht so gut, meiner Meinung nach. Die Leute feierten trotzdem und ich versuchte auch ein wenig zu tanzen, dachte mir aber, dass das eher nicht so mein Ding wäre. Glücklicherweise musste ich mich dann aber doch nicht allzu sehr ärgern, mitgekommen zu sein - Modeselektor fand ich ziemlich gut. Es ist nicht so das, was ich normalerweise höre. Ich habe mir aber fest vorgenommen, hier im Auslandssemeste viel Neues auszuprobieren und vorgefertigte Meinungen zu revidieren. Gerade musikalisch habe ich in letzter Zeit nicht viel Neues versucht und es ist höchste Zeit dafür.
Wir waren etwa um sechs im Bett an dem Abend und mussten am nächsten Morgen noch vor zehn aufstehen, weil dann unser Begleiter vom Anfang kommen würde, um mit uns zu frühstücken und uns die Schlüssel wieder abzunehmen. Das Frühstück war wieder sehr gut und reichhaltig und ausgedehnt - ich mag das ja sehr. Der junge Herr brachte uns dann noch zum Bahnhof und schließlich fuhren wir 13.15 mit dem IC gen Cluj. Die Fahrt zog sich furchtbar und der Zug war sehr voll, so dass man auch keinen Platz hatte, um sich zu bewegen oder auszustrecken. Ein paar Runden Uno und Backgammon sorgten leider auch nur kurz für Ablenkung. Wir aßen den ganzen Tag Schokolade und da jeder etwas von jedem Schokoriegel haben wollte, biss immer jeder ab und reichte ihn weiter.
Dennoch, obwohl wir eigentlich vollgestopft mit Junkfood waren, gingen wir danach noch eine Pizza essen, um den Abend abklingen zu lassen und waren gegen zwölf in der Nacht zurück im Wohnheim.

Es waren wirklich sehr schöne Tage und wir harmonierten auch als Gruppe sehr gut, das Konzert war gut, die Leute waren nett, das Wetter war schön - wiederholenswert, auf jeden Fall! Welche Stadt als nächstes?

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