Donnerstag, 18. Oktober 2012

Zum ersten Mal in Sarajevo – beeindruckt und verwirrt

Das ist die Fortsetzung meines Berichts von der Exkursion nach Belgrad und Sarajevo. Der Anfang findet sich hier: http://lost-in-cluj.blogspot.com/2012/10/mal-wieder-nach-belgrad.html

Wir fuhren tatsächlich früh um sieben Richtung Sarajevo los, obwohl viele noch in der Nacht tanzen waren. Die Busfahrt dauerte ewig. Um zwei Stempel reicher und zwei Stunden später als gedacht kamen wir in den engen Straßen Sarajevos an. Wo sich das Navi nicht auskannte. Unsere tollkühnen griechischen Busfahrer manövrierten dennoch gekonnt durch die unbekannten Gassen und wir fuhren zum ersten Hostel. Da wir aber fast fünfzig Personen waren, teilten wir uns auf zwei Hostels auf – ich landete im zweiten, in bester Innenstadtlage, dazu sehr neu und sehr nett hergerichtet. Aber wie schon in Belgrad – zwei Bäder für 16 Leute, da besteht Verbesserungsbedarf. 


Wir hatten als erstes einen Termin beim Hohen Repräsentanten, also bei der Institution, die die „Weltgemeinschaft“ eingesetzt hat, damit sie überprüft, ob die Bosnier sich auch an die Verfassung halten, die eben diese Weltgemeinschaft für sie geschrieben hat. Je mehr zeitliche Distanz ich zu dem Besuch habe, um so skurriler wird das Bild. Vielleicht vergesse ich irgendwelche wichtigen Fakten, aber so wie es sich darstellt: In Sarajevos Innenstadt finden sich die gleichen westlichen Geschäfte wie auch in Rom, Frankfurt oder Bukarest. Die Währung, Mark, ist gebunden an den Euro. Die Politik wird bestimmt von einer Verfassung, die als Anhang des Dayton-Friedensvertrags für das Land ausgehandelt wurde, durch den Hohen Repräsentanten wird überwacht, dass auch tatsächlich eingehalten wird, was man sich für das Land ausgedacht hat. Sie sollen der EU beitreten, das wollen sie sogar selber, aber die Folge davon ist, dass die EU noch zusätzliche Vorschriften macht, wie die Gesetze und deren Ausführung im Land zu laufen haben. Das ganze kommt mir vor wie eine Kolonie, ich kann mir nicht helfen. Natürlich sehe ich es ein, dass es irgendwie unsinnig wäre, dem Konflikt zwischen bosnisch-kroatischer Föderation und Republika Srpska seinen Lauf gehen zu lassen und das Land nun 15 Jahre nach dem Krieg doch noch zu teilen, weil dann ja eben die Serben genau das erreicht hätten, was sie mit dem Krieg wollten. Aber was soll man den tun, wenn es als Land einfach nicht funktioniert, ohne dass ständig Aufpasser daneben stehen? Ich habe wie gesagt auch keine Lösung, aber das Bild, welches sich bietet, ist höchst ambivalent. Dann stehen dort moderne Bürogebäude undeine Designerbrücke und auf der anderen Seite sieht man vollkommenzerschossene Gebäude, die kaum noch von ein paar Mauernzusammengehalten werden.  

Das wirkt alles so irreal. Dieser lebendige Markt im Stadtzentrum, die vielen Touristen und Backpacker – von vielen glaubt man, dass sie dem letzten superheißen Geheimtipp des Lonely Planet gefolgt sind – das wirkt alles so absurd, wenn man die Hügel um die Stadt sieht und sich nur denkt: „Die haben da einfach die ganze Zeit geschossen. Von den Bergen dort. Warum liegt die verdammte Stadt im Talkessel? Das ist doch die perfekte Lage für eine Belagerung!“ Ich stand immer wieder da und habe meine Mitreisenden bestimmt damit genervt, dass ich eben genau darauf hingewiesen habe – wie wahnsinnig es doch sei, dass hier Krieg war und wenn man sich das vorstellt, wie da, wo die Häuser sich den Berg hoch ziehen... 


Wir blieben nur eine Nacht in Sarajevo und mussten wiederum früh raus, da wir aufgrund unserer längeren Busfahrt einen Termin auf den nächsten Morgen verlegt hatten. Der Tag war relativ voll, am Abend blieb dennoch etwas Zeit, sich die Stadt noch ein bisschen selbstständig anzuschauen. Ich stromerte ein bisschen allein umher, das Stadtzentrum ist allerdings so klein, dass ich sehr schnell wieder jemanden traf. Ich kaufte mir noch einen Kupferarmreif als Andenken und genügend Essen für die Busfahrt – unter anderem ein „Light“-Sandwich mit extra viel Mayonese – und dann ging es schon wieder zurück nach München. Wiederum über viele Grenzen, die noch vor zweiundzwanzig Jahren nicht existierten. 


Gerade weil wir so viele offizielle Termine hatten, war diese Reise äußerst lehrreich. Leider blieb wenig Zeit, mit den Menschen in Kontakt zu kommen, für die das Land ihre Heimat war. Aber einen ersten Eindruck von Bosnien und Herzegowina konnte ich dennoch bekommen. Und mein neuer Pass hat seine ersten vier Stempel bekommen und fühlt sich damit nicht mehr so nichtssagend an. Ich war müde, ich war verwirrt, war aber auch sehr glücklich über die Möglichkeit, ein weiteres Land des ehemaligen Jugoslawien entdeckt zu haben. Und ich fühlte mich in dem Entschluss bestärkt, den Sprachkurs in Bosnisch-Serbisch-Kroatisch zu belegen. Dafür bin ich nun hochmotiviert und schmiede bereits Pläne, wie ich meine Sprachkenntnisse noch einmal irgendwo in Bosnoserbokroatien verfeinern könnte. Die erste Wahl dafür ist aber Belgrad. Fünf Jahre nachdem ich das erste Mal in Rumänien war, habe ich mal wieder mein Herz ein wenig an einen Ort verloren. Oder besser gesagt, der Ort hat sich in mein Herz und meinen Geist eingenistet und ist von dort nicht so schnell zu vertreiben. 

Freitag, 12. Oktober 2012

Mal wieder nach Belgrad...

Ich hatte einen Platz bei einer Exkursion meines Stipendienrprogramms bekommen. Für eine geringe Eigenbeteiligung konnte ich für vier Tage mit nach Serbien sowie Bosnien und Herzegowina fahren. Und fahren ist wörtlich zu nehmen – wir fuhren mit dem Reisebus. Ich fand die Vorstellung ganz schrecklich, aber schließlich war es gar nicht so schlimm, wie gedacht. Gemeinsam mit drei anderen Regensburgern machte ich mich auf den Weg nach München, wo der Bus am Hauptbahnhof abfahren würde. Er war fast voll und nur ein paar Leute hatten zwei Plätze für sich allein. Ich gehörte nicht dazu. Ich freute mich also nicht gerade auf die Fahrt, doch obwohl ich wenig schlief und wir keine funktionierende Toilette im Bus hatten, war es doch ok. 


Ich wachte etwa dreißig Kilometer vor Belgrad auf und genoss es wahnsinnig, die Stadt wiederzuerkennen, als ich Novi Beograd sah, als wir die Donau überquerten, als wir schließlich am Kalemegdan-Park herumkurvten. Genau da war unser Hostel – direkt an der alten türkischen Festung mit ihrem großen Park, oder besser gesagt zwischen Festung und Fußgängerzone Knez Mihailova. Die perfekte Lage. Auch das Achtbettzimmer war zu verkraften, zumal es sich als eine Art Appartment mit Vierbettzimmer, Zweibettzimmer, Einbettzimmer und einem Bett auf dem Flur herausstellte, die sich ein Bad teilten. Leider gab es keine Toiletten extra, aber auch das funktionierte eigentlich entgegen schlimmster Befürchtungen. Wir hatten bei dieser Exkursion Treffen mit EU-Institutionen und Menschenrechtsorganisationen, hörten Präsentationen der Exkursionsteilnehmer und schauten uns auch ein paar Sehenswürdigkeiten an. Ich war erstaunt, wie diszipliniert alle Teilnehmer waren – fast immer waren alle pünktlich da, selbst als wir morgens um sieben am Bus sein mussten und die meisten hörten immer zu und es kamen viele interessierte und interessante Fragen. Das kannte ich von anderen Exkursionen anders. Aber es war ja auch eine Exkursion von einem Eliteförderprogramm. Das hatte dann leider auch zur Folge, dass ich zu einigen Leuten überhaupt keinen Draht hatte. Einige kamen mir sehr oberflächlich und egoistisch vor, wobei auch einige sehr nette darunter waren. 

Am ersten Tag gingen wir abends etwas trinken und es wurde ein Schnaps nach dem nächsten bestellt. Mir war das, gerade nach der Nacht ohne Schlaf und der langen Reise doch etwas zu viel und ich war froh, dass mich am nächsten Morgen kein allzu schlimmer Kater erwartete. Am zweiten Tag stand die EU-Delegation und Sehenswürdigkeiten auf dem Programm. Ich klinkte mich an der Heiligen Sava Kathedrale aus, nachdem ich an einem Kinderspielplatz mein Referat über Tito gehalten hatte. Tito hätte es gemocht, bestätigte mir kurz darauf auch mein Lieblingsserbe den ich kurz darauf in der Innenstadt traf. Ich war vor einem halben Jahr als Couchsurferin bei ihm gewesen, hatte im Sommer bei meiner Rundreise noch mal bei ihm übernachtet und war froh, dass er wenigstens ein wenig Zeit für mich nehmen konnte. Ich höre ihm so gern zu, wenn er erzählt und er gibt mir jedes Mal eine Menge Tipps, welche Filme ich sehen und Bücher ich lesen sollte. Mit einem dicken Grinsen im Gesicht, aber auch einem großen Abschiedweh ging ich wieder ins Hostel. Ich hätte ihn gern mitgenommen, aber ich war auch bereits sehr glücklich darüber, nur zwei-drei Stunden mit ihm verbracht zu haben.

Wir holten uns abends noch Fastfood und ein Bier und setzten uns an die Festungsmauer, wo wir Donau und Sava überblickten. Danach noch ein Bier in einer Bar, wo ich auch bereits mit meinem Couchsurfer mal war und für mich war es das für diesen Abend. Die Party-Boote, die die anderen noch ansteuerten, sparte ich mir, denn ich war einfach nur müde. Ich schlief dennoch irgendwie sehr schlecht und das frühe Aufstehen war eine Strapaze. Um sieben wollten wir mit dem Bus Richtung Sarajevo aufbrechen.

Donnerstag, 11. Oktober 2012

Rumänien in Freiburg

Um für meine Masterarbeit zu recherchieren musste ich unbedingt ein paar Tage nach Freiburg. Dort befindet sich die Rumänische Bibliothek, die bereits 1949 von Rumänien, die sich in Deutschland im Exil befanden, gegründet wurde. Unter anderem gehören zum Bestand neben zahlreichen Büchern unzählige Zeitungen und Informationsblätter, die von Exilrumänen herausgegeben wurden Ich beschäftige mich in meiner Masterarbeit mit dem rumänischen Exil und so war das also unumgänglich.

In die Bibliothek zu kommen war zunächst nicht so einfach. Ich wollte es eigentlich noch im August erledigen, aber als ich Mitte Juli in der Bibliothek anrief, wusste die Dame am Telefon nicht, ob im August offen wäre. Ich sollte wieder anrufen. Das versuchte ich dann auch und als ich schließlich jemanden erreichte, meinte die gleiche Frau, sie sei nur zufällig da und ja, es wäre geschlossen. Ob denn im September offen sei? Wahrscheinlich in der ersten Septemberwoche noch nicht, aber in der zweiten bestimmt. Ich solle am Besten einfach vorbeikommen. Ich weiß nicht, wie oft ich ihr erklärte, dass es aus Regensburg nicht gerade nah war und ich das schon ein bisschen planen musste. Dann solle ich besser noch mal anrufen. Mein Problem war nur, dass die Bibliothek lediglich montags bis donnerstags von elf bis dreizehn Uhr geöffnet hatte und ich somit nicht erst Montagmorgen anrufen wollte, um zu erfahren, ob vielleicht offen sei, dann in den Zug zu steigen und Dienstag beginnen zu können, zu arbeiten. Ich rief also eine Woche vor meiner Ankunft an. Ja, man habe prinzipiell geöffnet, die Sekretärin sei aber jetzt nicht da, also wenn ich sicher sein wollte... Als ich ihr zum fünften Mal erklärte, dass ich aus Regensburg käme, meinte sie schließlich, dass bestimmt geöffnet sei, aber man habe halt wenig Personal und sie würde der Sekretärin einen Zettel hinlegen, dass ich Montag da wäre. 



Also auf nach Freiburg. Sonntagabend fuhr ich mit einer Mitfahrgelegenheit hin, traf den Couchsurfer, der mich beherbergen würde und ging mit diesem und seinem Bruder noch einen Cocktail trinken. Am nächsten Morgen klappte alles sehr gut. Ich fand die Bibliothek, auch mithilfe meines Navi-Handys, sofort, kaufte mir vorher noch ein Frühstück beim Bäcker und war dann ein paar Minuten zu früh in der Straße unterwegs. Ich sah jemanden zum Eingang der Bibliothek gehen, aber als mir auf mein erstes überpünktliches Klingeln niemand öffnete, drückte ich mich noch ein bisschen herum und aß den Rest von meinem Bäckerfrühstück, dann versuchte ich es noch einmal und die schwere Pforte des Altbaus öffnete sich mit einem Summen. Eine alte Dame stand in der Tür der Wohnung, die die Bibliothek beherbergte. Mit Strickjacke und Schal, sowie einem hölzernen Gehstock lehnte sie halb im Türrahmen. Ich folgte ihr in die Bibliothek, die so war, wie man sich eine alte Bibliothek ausmalt – Regale bis zur Decke, dunkel, kühl und ein wenig unordentlich. Ich sollte die Jacke besser anbehalten, meinte die Frau und damit hatte sie sogar recht, es war ziemlich kühl. Doch ich war im Regen ein wenig nass geworden und so zog ich sie doch lieber aus. Die Dame zeigte mir den Raum mit den Exilzeitungen und -zeitschrifen – wiederum bis an die Decke hoch Regale mit Pappordnern, in denen Titel wie „Exilul Romînesc“ oder „Patria“ steckten. Genau das, was ich suchte. Ich begann mir die erste vorzunehmen, während mit die Dame, die offenbar die Bibliothek leitete, eine Liste der wichtigsten in Deutschland erschienen Publikationen machte. Ein Traum eines jeden Wissenschaftlers. Mir wurde ein Nebenraum angewiesen. Auch er hatte wiederum Regale bis zur Decke, außerdem waren da ein alter Bibliothekskatalog mit Holzschubern sowie ein Tisch, der vollgestellt war mit Büchern. Daneben standen unzählige Bananenkisten mit Büchern, die wohl noch auf ihren Platz im Regal warteten. Auch in diesem Raum war es kühl und dunkel. Die Rollos waren überall leicht heruntergelassen und ich traute mich nicht, etwas zu ändern. Ich hätte womöglich etwas kaputt gemacht oder ein fragiles Gleichgewicht gestört.
Ich ging also meiner Arbeit nach und fotografierte wie wild ganze Jahrgänge, damit ich zu Hause dann damit arbeiten können würde. Das ging vier Tage dann so. Manchmal durfte ich länger bleiben, so lange noch jemand da war, und ab dem zweiten Tag durfte ich auch einen Packen Zeitschriften mitnehmen. Ich las, überflog, fotografierte und in den anderen Räumen waren oft Gespräche, Telefonate oder das beständige Geräusch von Schreibmaschinentastaturen zu hören. Es war sicher keine Computertastatur, eine Schreibmaschine hört sich anders an. Ich fühlte mich etwas zeitlos in dieser Altbauvilla beim Durchsuchen alter Exilblätter. Wie lange mochte die alte Dame sich schon in der kühlen Dunkelheit aufhalten, jeden Tag für ein paar Stunden? War die Bibliothek möglicherweise ihr Lebenswerk?



Meine Freizeit in Freiburg verbrachte ich ein wenig mit herumlaufen und mir etwas zu essen suchen, aber vor allem mit meinem Gastgeber. Er bot mir nicht nur seine super-bequeme Klappcouch sondern auch sein Fahrrad an und an zwei Abenden fuhren wir zu Spieleabenden, wo ich eine Menge neuer Spiele kennenlernte. Er war begeisterter Spielefan und ich fand es schön, mal wieder ein Brettspiel zu spielen. Ab dem zweiten Tag fühlte ich mich schon fast ein wenig wie Inventar in seinem Zimmer, so problemlos war der Aufenthalt da. Schließlich reiste ich mit dem Zug wieder ab, in der Tasche zwei SD-Karten mit Fotos von den Archivdokumenten und der Idee, mir mal wieder ein Brettspiel zu kaufen.