Das ist die Fortsetzung meines Berichts von der Exkursion nach Belgrad und Sarajevo. Der Anfang findet sich hier: http://lost-in-cluj.blogspot.com/2012/10/mal-wieder-nach-belgrad.html
Wir fuhren tatsächlich früh um sieben
Richtung Sarajevo los, obwohl viele noch in der Nacht tanzen waren.
Die Busfahrt dauerte ewig. Um zwei Stempel reicher und zwei Stunden
später als gedacht kamen wir in den engen Straßen Sarajevos an. Wo
sich das Navi nicht auskannte. Unsere tollkühnen griechischen
Busfahrer manövrierten dennoch gekonnt durch die unbekannten Gassen
und wir fuhren zum ersten Hostel. Da wir aber fast fünfzig Personen
waren, teilten wir uns auf zwei Hostels auf – ich landete im
zweiten, in bester Innenstadtlage, dazu sehr neu und sehr nett
hergerichtet. Aber wie schon in Belgrad – zwei Bäder für 16
Leute, da besteht Verbesserungsbedarf.
Wir hatten als erstes einen Termin beim
Hohen Repräsentanten, also bei der Institution, die die
„Weltgemeinschaft“ eingesetzt hat, damit sie überprüft, ob die
Bosnier sich auch an die Verfassung halten, die eben diese
Weltgemeinschaft für sie geschrieben hat. Je mehr zeitliche Distanz
ich zu dem Besuch habe, um so skurriler wird das Bild. Vielleicht
vergesse ich irgendwelche wichtigen Fakten, aber so wie es sich
darstellt: In Sarajevos Innenstadt finden sich die gleichen
westlichen Geschäfte wie auch in Rom, Frankfurt oder Bukarest. Die
Währung, Mark, ist gebunden an den Euro. Die Politik wird bestimmt
von einer Verfassung, die als Anhang des Dayton-Friedensvertrags für
das Land ausgehandelt wurde, durch den Hohen Repräsentanten wird
überwacht, dass auch tatsächlich eingehalten wird, was man sich für
das Land ausgedacht hat. Sie sollen der EU beitreten, das wollen sie
sogar selber, aber die Folge davon ist, dass die EU noch zusätzliche
Vorschriften macht, wie die Gesetze und deren Ausführung im Land zu
laufen haben. Das ganze kommt mir vor wie eine Kolonie, ich kann mir
nicht helfen. Natürlich sehe ich es ein, dass es irgendwie unsinnig
wäre, dem Konflikt zwischen bosnisch-kroatischer Föderation und
Republika Srpska seinen Lauf gehen zu lassen und das Land nun 15
Jahre nach dem Krieg doch noch zu teilen, weil dann ja eben die
Serben genau das erreicht hätten, was sie mit dem Krieg wollten.
Aber was soll man den tun, wenn es als Land einfach nicht
funktioniert, ohne dass ständig Aufpasser daneben stehen? Ich habe
wie gesagt auch keine Lösung, aber das Bild, welches sich bietet,
ist höchst ambivalent. Dann stehen dort moderne Bürogebäude undeine Designerbrücke und auf der anderen Seite sieht man vollkommenzerschossene Gebäude, die kaum noch von ein paar Mauernzusammengehalten werden.
Das wirkt alles so irreal. Dieser lebendige
Markt im Stadtzentrum, die vielen Touristen und Backpacker – von
vielen glaubt man, dass sie dem letzten superheißen Geheimtipp des
Lonely Planet gefolgt sind – das wirkt alles so absurd, wenn man
die Hügel um die Stadt sieht und sich nur denkt: „Die haben da
einfach die ganze Zeit geschossen. Von den Bergen dort. Warum liegt
die verdammte Stadt im Talkessel? Das ist doch die perfekte Lage für
eine Belagerung!“ Ich stand immer wieder da und habe meine
Mitreisenden bestimmt damit genervt, dass ich eben genau darauf
hingewiesen habe – wie wahnsinnig es doch sei, dass hier Krieg war
und wenn man sich das vorstellt, wie da, wo die Häuser sich den Berg
hoch ziehen...
Wir blieben nur eine Nacht in Sarajevo
und mussten wiederum früh raus, da wir aufgrund unserer längeren
Busfahrt einen Termin auf den nächsten Morgen verlegt hatten. Der
Tag war relativ voll, am Abend blieb dennoch etwas Zeit, sich die
Stadt noch ein bisschen selbstständig anzuschauen. Ich stromerte ein
bisschen allein umher, das Stadtzentrum ist allerdings so klein, dass
ich sehr schnell wieder jemanden traf. Ich kaufte mir noch einen
Kupferarmreif als Andenken und genügend Essen für die Busfahrt –
unter anderem ein „Light“-Sandwich mit extra viel Mayonese –
und dann ging es schon wieder zurück nach München. Wiederum über
viele Grenzen, die noch vor zweiundzwanzig Jahren nicht existierten.
Gerade weil wir so viele offizielle
Termine hatten, war diese Reise äußerst lehrreich. Leider blieb
wenig Zeit, mit den Menschen in Kontakt zu kommen, für die das Land
ihre Heimat war. Aber einen ersten Eindruck von Bosnien und
Herzegowina konnte ich dennoch bekommen. Und mein neuer Pass hat
seine ersten vier Stempel bekommen und fühlt sich damit nicht mehr
so nichtssagend an. Ich war müde, ich war verwirrt, war aber auch
sehr glücklich über die Möglichkeit, ein weiteres Land des
ehemaligen Jugoslawien entdeckt zu haben. Und ich fühlte mich in dem
Entschluss bestärkt, den Sprachkurs in Bosnisch-Serbisch-Kroatisch
zu belegen. Dafür bin ich nun hochmotiviert und schmiede bereits
Pläne, wie ich meine Sprachkenntnisse noch einmal irgendwo in
Bosnoserbokroatien verfeinern könnte. Die erste Wahl dafür ist aber
Belgrad. Fünf Jahre nachdem ich das erste Mal in Rumänien war, habe
ich mal wieder mein Herz ein wenig an einen Ort verloren. Oder besser
gesagt, der Ort hat sich in mein Herz und meinen Geist eingenistet
und ist von dort nicht so schnell zu vertreiben.
PS: Mehr Sarajevo-Bilder hier: http://lost-my-name.blogspot.com/2012/10/gegensatze-sarajevo-oktober-2012.html