Als ich am Donnerstag spät abends in
der Jugendherberge ankam, war ich zunächst allein in dem spärlich
eingerichteten Dreierzimmer, in der Nacht trödelten dann aber noch
meine zwei Zimmergenossinnen ein und da wir uns eine Weile nicht
gesehen hatten, quatschten wir erst einmal bis um zwei. Am nächsten
Morgen gingen wir gemeinsam frühstücken und das Frühstück
übertraf unsere Erwartungen, die in dieser Umgebung, die doch stark
an ein Schullandheim erinnerte, nicht hoch waren. Wir zerstreuten uns
und für mich ging es zu einem zweiten, türkischen Frühstück nach
Neuköln, wo ich das Fräulein traf. Wir tauschten uns darüber aus,
was in unseren Leben so passiert war, seit wir uns das letzte Mal, in
Istanbul, gesehen hatten. Dazu passte natürlich Simit und Schwarztee
ausgezeichnet. Das Fräulein zeigte mir noch das alte Tempelhofer
Flughafengelände, das heute eine große gemeinschaftlich genutzte
Erholungsfläche ist (auf dem Bild sieht man Gleitschirme, ein Gartenprojekt und natürlich den Fernsehturm), und ihre Wohnung. Nachmittags lief ich durch
Neuköln zum Maybachufer. Auf dem Markt, der dort stattfindet tauchte
ich in die Gerüche ein, die von den Ständen herüberwehten –
reife Ananas, orientalische Gewürze, Räucherstäbchen... Am Ende
des Marktes saßen ein paar junge Menschen und machten Musik. Der
Markt war gedrängt voll mit einer Mischung aus Anwohnern und
Touristen, der Stadtteil war so lebendig, wie ich es selbst von
Regensburg kaum kenne. Die Menschen wirkten nicht so gehetzt, wie
Großstädter eben oft scheinen, und die Atmosphäre war sehr
angenehm.
Danach stoppte ich noch einmal kurz im
Hostel, bevor ich meine Freunde traf, mit denen ich zum Theater
gehen wollte. Hora ist die einzige professionelle Theatergruppe, die
aus Behinderten besteht und das Stück, welches wir sahen, trug
einfach den Titel „Disabled Theater“. Ich verstand es nicht
sofort als Stück und ich fand es auch nicht besonders gut, aber bei
unserer späteren Diskussion in einer Kneipe verstand ich es ein
bisschen besser und mir erschlossen sich noch ein paar Sachen. Es
beginnt damit, dass die Schauspieler einzeln auf die Bühne kommen
und eine Minute im Rampenlicht stehen bleiben. Danach beantworten
sie, wieder einer nach dem anderen, nacheinander die Fragen nach
Name, Alter und Beruf sowie ihrer Behinderung. Schließlich folgen
sieben von den Behinderten selbst erarbeitete Choreographien zu von
ihnen selbst gewählten Liedern, eine Freedbackrunde zum Stück und
die restlichen vier Choreographien von den Schauspielern, die in der
ersten Runde nicht getanzt hatten. Meine größte Kritik an dem Stück
ist eigentlich, dass ich finde, dass die Behinderung der Schauspieler
zu sehr thematisiert wird und sie vorgeführt werden. Man ist als
Zuschauer (und das wäre man sicher auch bei jedem anderen Stück mit
Behinderten Schauspielern) in der Rolle des Voyeurs, der sich eben
anschaut, was „diese Menschen“ auf der Bühne machen. Das
Interesse liegt weniger im Stück, als darin, wie es umgesetzt wird.
Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, dass man sich durch den
Aufbau des Stückes auch bewusst wird, dass man ein Voyeur ist und möglicherweise ist gerade das eines der Ziele, dass man sich eben nicht ganz wohl
fühlt bei dieser (so einer der Behinderten) „Freak-Show“.
Am Samstag verbrachte ich Stunden mit
Kater im Deutschen Historischen Museum, nachdem wir es geschafft
hatten, eine gemeinsame Entscheidung zu treffen, welches Museum es
werden sollte. Das Museum ist sehr zu empfehlen, es ist sehr gut
aufbereitet und man kann locker einen Tag darin verbringen. Die
Sonderausstellung zur DDR war aber leider sehr unkritisch,
undifferenziert und wenig reflektiert. Einzig mit dem kostenlosen
Audioguide erhielt man auch ein paar kritische O-Töne, die über die
üblichen Poster zur Rechtfertigung der innerdeutschen Grenzsicherung
hinausgingen.
Später machte ich mich auf dem Weg zum Haus der Kulturen der Welt, wo das Festiwalla stattfand. Das Fräulein hatte mich darauf aufmerksam gemacht. Leider war ich zu spät dran für die palästinensischen Kurzfilme, aber ich konnte mir zwei Theaterstücke anschauen. Bei „From Tahrir wirh Love“, in dem es laut Programmheft um die Rezeption des arabischen Frühlings unter Berliner Jugendlichen mit Migrationshintergrund ging, war mein großes Glück, dass das Fräulein und ihre Mitbewohnerin mir einen Platz reserviert hatten und wie die Löwinnen mit kämpften, dass ich da rein kam. Ich war sehr froh darüber, denn es lohnte sich sehr. Ich würde aber eher sagen, es ging um die Probleme von jugendlichen mit Migrationshintergrund und ihren Willen zur Revolte. Das Stück, von Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf die Bühne gebracht, war großartig. Es war jung, wild, kreativ, links, berlinerisch. War es migrantisch? Eigentlich nicht – natürlich zeigte es Probleme, die eben Jugendliche mit Migrationhintergrund haben, aber im Endeffekt ging es um Sachen, die die Gesellschaft als ganze betrafen.
Eigentlich war fest geplant, abends
noch wegzugehen und das Nachtleben der Hauptstadt etwas unsicher zu
machen, aber das schafften wir dann im Endeffekt nicht. Ich traf die
anderen wieder in einem Restaurant, wo sie gerade ihr Nachtmahl
nahmen und wir hingen alle ganz schön am Tisch, so dass wir
beschlossen, dass der Spaziergang nach Hause das letzte sein würde,
was wir an dem Tag tun würden. Am nächsten Morgen frühstückten
wir noch einmal gemeinsam, ehe wir wieder in unsere jeweiligen
Heimatrichtungen aufbrachen.