Ich komme gerade wieder von einem wundervollen Ausflug ins Apuseni-Gebirge. Ich bin immer noch total überwältigt von all den Eindrücken - aber vielleicht sollte ich einfach mal chronologisch anfangen. Die Route war Cluj - Oradea - Beius - Gârda des Sus - Pestera de Scartisoara - Gârda de Sus - Câmpeni - Turda - Cluj, wobei wir eigentlich nur in Oradea und Gârda sowie in der Eishöhle von Scartisoara längere Zeit verweilten.
Wir begannen unsere Reise mit dem Zug nach Oradea. Meine Berechtigung für ermäßigte Zugtickets wurde nicht akzeptiert, weil ein Stempel fehlte (mal wieder typisch rumänische Bürokratie), aber so teuer ist ja Zug fahren in Rumänien glücklicherweise nicht und so war das kein großes Problem. Die Zugfahrt vebrachten wir mit Keksen und Obst, ein Motiv, dass sich durch die ganze Reise ziehen sollte. Angekommen in Oradea sind wir einfach mal losgelaufen und haben die Pension gesucht, die uns empfohlen wurde. Die Stadt ist einfach mal wunderschön. Ein barockes Stadtzentrum mit rosablühenden Zierkirschen (oder was auch immer es war) und einer ganzen Reihe schmucker Gebäude, mitten durch ein Fluss, der sehr viel schöner und sauberer als der Somes in Cluj ist. Die Zitadelle am Stadtrand wurde gerade ein wenig restauriert. Zum Teil sah es auch so aus, als würde alte Bausubstanz zerstört. Was genau das Ziel war, war nicht zu erkennen. Der einzige negative Punkt - das vegetarische Restaurant, das im Lonely Planet und Rough Guide empfohlen wurde, hatte geschlossen. Dafür hatte die Lactobar offen, wo wir uns zur Stärkung zwischendurch schon ein Stück Kuchen bzw. Bruschetta genehmigten.
Am nächsten Morgen wollten wir in die Berge aufbrechen. Die geplante Route war über Beius nach Gârda de Sus zu kommen. Nach Beius sollte es laut Angaben im Internet auch einen Bus geben. Wir spurteten nach einem Omlett-Frühstück - wer frühstückt eigentlich normalerweise Omlett, und wenn das kein normales Frühstück ist, warum wird es ständig in Hotels und Cafés als solches angeboten? - los zum Busbahnhof, verliefen uns einmal kurz und stellten schließlich verschwitzt und kaputt fest: Hier fährt heute wohl nichts mehr. Es war Ostermontag, auf dem Busbahnhof konnte man nur auf vorüberwehende Heubüschel wie im Westernfilm warten. Aber selbst da hätte man lange gewartet. Nach einer kurzen Inspektion der paar herumstehenden Fahrerlosen Busse entschieden wir uns, noch die ein-zwei Kilometer zur Bundesstraße zu laufen und uns dort zum Hitchhiken zu postieren. Überraschenderweise kamen wir am Ortsausgang zu einem weiteren Busbahnhof, vermutlich sowieso der, den wir ohnehin für den Bus nach Beius gebraucht hätten. Ein Mann, der vor seinem Van stand, meinte zu uns: "Mädels, wo wollt ihr hin? Hier fährt heute nichts!". Er bot an, uns sowie ein paar Rumänen nach Beius zu fahren, für umgerechnet 2,50 Euro pro Person. Wir nahmen die Chance war und waren eine Stunde später in Beius, wo er uns noch ans Ende der Stadt brachte, wo wir uns gut postieren zu können, um auf eine Gelegenheit zu warten, wie man im Rumänischen sagt. Mit einer Gelegenheit fahren / gehen - "a merge cu ocazie" - bedeutet auf Rumänisch trampen, hitchhiken. Nacheinander nahmen uns drei relativ junge Rumänen jeweils für ein paar Kilometer mit, die alle im Ausland arbeiteten oder gearbeitet hatten, der eine lud uns sogar noch auf einen Kaffee ein. Sie alle fragten, was wir von Rumänien hielten und auf die Antwort "Frumos!" [schön], meinten alle: "Ja, aber...". Die Rumänen seien in der kommunistischen Zeit zurückgeblieben, die Politik sei furchtbar, die Korruption unerträglich und als Unternehmensgründer hätte man keine Chance einen Fuß auf den Markt zu bekommen. Zwei der drei brachten uns sogar noch ein paar Kilometer weiter, als sie selbst mussten, nur weil es von dort einfacher wäre, eine neue Mitfahrgelegenheit zu bekommen. Schließlich standen wir in Baita. Und dort standen wir etwa eine Stunde. Wir überlegten uns schon einen Plan B (von den Einwohnern einladen lassen) und C (den Menschen mit dem weißen VW Golf anhauen, ob er uns gegen ein Entgeld irgendwo hinbringt), um irgendwie da wegzukommen, bevor es dunkel werden würde, doch dann kam unser Retter. Und das ist wörtlich zu nehmen, der Mensch war von Beruf Retter - der rote Kombi, der um die Ecke bog, gehörte zur Bergrettung. Eigentlich war seine aktuelle Mission einen Kollegen mit einer Panne zu retten, aber da dem dann schon von jemand anderem geholfen wurde, brachte er uns eben einfach mal die 33km zu dem Ort, wo wir hin wollten. Während es immer tiefer in die Berge ging und wir in seinem Dacia in den Serpentinen von rechts nach links geschleudert wurden, hallte aus den Boxen Nirvana und Bon Jovi. Uns blieb der Mund offen stehen, bei dem Ausblick, der sich uns zum Teil bot. Der gute Mensch gab uns schließlich noch Ratschläge, wie wir zur Eishöhle, unserem Hauptziel, kommen würden und ließ uns an der Kreuzung heraus, wowir am nächsten Morgen starten sollten. Gleich zweihundert Meter weiter war eine niedliche Pension, wo wir uns ein Zimmer nahmen. Im Restaurant nebenan aßen wir dann immer Frühstück und Abendessen und in den Lebensmittelläden im Dorf kauften wir unseren Proviant. Von unserem Platz beim Abendessen beobachteten wir das muntere Treiben vor dem Restaurant - im Kulturhaus nebenan gab es an dem Abend eine Party. Jung und Alt hatte sich in Schale geschmissen und strebte dem Vergnügen zu. Der Dorfplatz war schon bald mit Dacias vollgeparkt und die jungen Frauen stolzierten natürlich auch hier, am gefühlten Ende der Welt, in High Heels umher.
Das Zimmer war sehr gemütlich und das beste waren eingentlich die schweren Schafwolldecken, die als Tagesdecken über den Betten lagen und die einen nachts warm hielten und einen guten Schlaf bescherten.
Natürlich regnete es an dem Tag, als wir zur Höhle wollten, in Strömen. Nach einem Frühstück ohne Omlett, sondern nur mit Brot, Käse, Marmelade und Honig suchten wir noch vergeblich die ausgeschilderte Information. Die Frau von unserer Pension versicherte uns jedoch, dass die Höhle sicher offen wäre und verstand nicht so recht, was wir mit einem "Guide" wollten. In unserem Lonely Planet stand nämlich, die Höhle sei nur mit diesem zu besichtigen. Wir machten uns also einfach mal auf den Weg und fanden natürlich den Wanderweg nicht sondern gingen auf der Straße, die fast den ganzen Weg bis zur Höhle den Berg hoch führte. Der Lonely Planet meinte auch, die Höhle sei "not accessible by car" und man müsse die letzten acht Kilometer laufen, der Weg schien uns aber recht gut ausgebaut.
Für einen Teil des Weges schloss sich uns ein Hund an. Popescu trottete treu hinter uns her durch den Regen und war eine wirklich nette Begleitung. Es ist auffällig, dass ich den Namen Popescu mag, aber in diesem Fall hieß der Hund einfach so. Als ich ihn rief, drehte er sich nämlich um und lächelte in die Kamera. Nach vier Kilometern, die Steigung hatte stark zugenommen und es regnete immer noch beständig, hielt schließlich ein Jeep und nahm uns weitere vier Kilometer mit. Popescu musste an diesem Punkt leider zurückbleiben, obwohl uns die Insassen des Jeeps noch fragten, ob es unser Hund wäre und sie ihn vielleicht auch mitgenommen hätten. Nach einer Keks- und Kräftigungspause unter dem Dachvorsprung eines Schuppens gingen wir die restlichen zwei-drei Kilometer und trafen noch ein spanisches oder italienisches Pärchen, welches gerade auf dem Rückweg war. Es war total unerwartet, bei diesem Mistwetter auf andere Höhlenbesucher zu treffen, die dann auch noch sehr gut Englisch sprachen. Sie schilderten uns den restlichen Weg und wir gingen weiter. Nach einigen hundert Metern kam uns eine Gruppe SUVs entgegen, mit Bukarester Kennzeichen. Der erste hielt, ein junger Mann saß darin, eine hübsche Rumänin mit weißer Handtasche auf dem Schoß als Beifahrerin. Sie suchten die Höhle und ich versuchte in meinem schlechten Rumänisch ihnen klar zu machen, dass sie auf dem falschen Weg seien. Sie haben mich wohl nicht verstanden, jedenfalls drehten sie nicht sofort um, allerdings trafen wir sie später auf dem Gipfel wieder. Wir gingen gerade in die einzige Bar vor Ort um einen Tee und eine heiße Schokolade zu trinken, als sie fragten, ob man an die Höhle nicht heranfahren könnte. Weit erkennbar stand ein Schild "Zur Höhle 10min", aber die Ladies hätten sich wohl ihre Stöckelschuhe ruiniert auf dem letzten Kilometer. Als wir aus der Bar kamen, wo wir von etwa fünf rumänischen Männern gleichzeitig angestarrt worden waren, kamen die Rumänen schön zurück- ob sie die Höhle besucht haben bleibt ungewiss.
Wir nahmen die letzten Meter auf uns und natürlich passierte das, was in Rumänien ständig passiert - es gab ein Schild und an der nächsten Abzweigung war keins mehr. Worauf man nie weiß, ob man richtig ist. Wir waren glücklichweise richtig. Bei dem gelangweilten Rumänen im Kassenhäuschen kauften wir zwei Tickets und konnten damit das Drehkreuz zur Eishöhle passieren. Danach muss man zunächst vielleicht einhundert einfach Metallstufen, die an die Stufen zur Wasserrutsche im Freibad erinnern, hinuntersteigen. Unten angekommen öffnet sich eine Halle, deren Boden mit Eis bedeckt ist. Verschiedene Eisblöcke und Eiszapfen bieten einen atemberaubenden Anblick, das ganze ist stimmungsvoll angeleuchtet. Das einzige, was man sicherlich nicht braucht, ist einen Höhlenführer, denn es ist unmöglich, sich auf den Hundert Meter Holzbohlenweg, der einmal im Kreis über das Eis führt, zu verirren. Natürlich ist es in der Höhle unten ziemlich kalt, sonst würde ja alles tauen, und so fühlen sich bloß die Fledermäuse dort so wohl, dass sie länger verweilen. Als tropfnasser Wanderer ist es unausweichlich, wieder ans Tageslicht zu gehen.
(Sieht doch irgendwie aus wie das Völki oder bin ich die einzige mit der Assoziation?)
Als tropfnasser Wanderer blickt man nun einem Abstieg entgegen, wiederum ungefähr zehn Kilometer. Die Füße sind bereits leicht feucht und die Regenjacke hält auch nicht mehr ganz dicht. Welchen Weg sollte man nehmen, den Wanderweg, den man auf dem Hinweg irgendwie übersehen hat, oder wieder die Straße, in der Hoffnung ein Stück mitgenommen zu werden, trotz der schlammigen Stiefel und nassen Klamotten? Diese Frage hat sich schließlich erübrigt, da wir am Parkplatz vor dem letzten Stück Fußmarsch zur Höhle ein paar junge Rumänen angesprochen haben, ob sie uns mitnehmen. Der männliche Fahrer hatte scheinbar nichts dagegen, seine zwei weiblichen Begleitungen waren wohl nicht so angetan, aber schließlich waren wir schnell wieder im Tal, bei unserer Pension, konnten eine warme Dusche nehmen, uns in unsere Schafwolldecken kuscheln, die Keksvorräte dezimieren und ein wenig ausruhen. Abends gingen wir nochmal für ein Abendessen raus, aber dann kuschelten wir uns in die Betten und schliefen.
Wir setzten uns noch einmal zum Frühstück auf unseren Stammplatz und beobachteten das Treiben auf der Dorfstraße. Wir waren relativ zuversichtlich, dass uns irgendein Auto in die nächste Stadt mitnehmen würde und auch von da würde es weiter gehen. Gegen zehn stellten wir uns schließlich zur Mitfahrersammelstelle neben ein paar ältere Herren. Wir hatten bereits in der Pension gefragt, ob es einen Bus gäbe und ja, den gab es, nur wann wusste niemand. Also wieder "cu ocazie". Die meisten Fahrer wollten nur leider nicht weiter als bis in das Dorf oder ins nächste und so standen wir eine halbe Stunde und verloren ein wenig den Mut. Doch dann kam tatsächlich ein Bus. Und auf dem Bus stand: Cluj-Napoca. Wir trauten unseren Augen kaum. Dreieinhalb Stunden wurden wir in diesem alten deutschen Stadtbus oder Schulbus durchgeschüttelt. Drei Stunden davon stützte mein Hintermann seine Arme auf meine Rückenlehne, um zu schlafen, so dass ich mich nicht anlehnen mochte. Wir fuhren von Turda aus in die Stadt hinein auf der Strecke, wo man kurz einen wundervollen Blick über die Stadt hat. Leider war es stark bewölkt und regnerisch, so dass man fast nix sah. Und dann waren wir auf einmal in Cluj. Aus dem Bus zu steigen, bedeutete einen Kulturschock. Gerade hatte man noch zwischen all den Menschen von den Dörfern und Kleinstädten gesessen und wurde durchgeruckelt, nun waren wieder überall Städter unterwegs und es herrschte geschäftiges Treiben. Die Vorstellung, eine Stunde am Straßenrand zu stehen, in Sichtweite fünf Häuser, und auf eine Auto zu warten, dass einen ein paar Kilometer mitnehmen würde, wirkte absurd. Wir waren nur zwei Tage am Rand der Zivilisation gewesen, nun standen wir aber wieder mitten auf dem Avram-Iancu-Platz, mitten in der Stadt. Alles war vertraut, der Hügel am Wohnheim, die Wohnheimplattenbauten selbst, aber es war einfach nur wahnsinnig seltsam, wieder dort zu sein.